23.01.2024

Briefe



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ID: 23143
Geschrieben am: Dienstag 10.01.1871
 

Düsseldorf, den 10. Januar 1871.
Lieber Johannes,
ich sehe schon, daß, will ich auf eine ruhige Zeit Dir zu schreiben warten, es nicht dazu kömmt, also versuche ich es jetzt, damit Du wenigstens erfahrest, daß ich seit mehreren Wochen jeden Tag den Vorsatz hatte, Deine lieben letzten Briefe zu beantworten. Es hätte übrigens nicht so lange gedauert, wäre ich nicht von einem recht peinlichen Leiden volle 3 Wochen geplagt gewesen. Eine Erkältung hatte sich mir auf die Ohren geworfen, so daß ich Sprechen nur in meiner nächsten Nähe verstand, jedes eigene Wort mir im Kopfe förmlich dröhnte, und das Schrecklichste, alle Töne im Diskant zu hoch hörte, und alle nach dem Basse zu gehenden Harmonien mir im Kopfe ganz verwirrt klangen. Das versetzte mich in eine so trübe Stimmung, daß ich förmlich in meiner Tatkraft wie gelähmt war, keinen Brief ohne größte Mühe zustande brachte. In diesem Zustande mußte ich auch nach Hamburg, dort wurde es etwas besser, sobald ich aber nach Berlin zurückkam, wieder dasselbe, und erst jetzt seit einigen Tagen bin ich wieder befreit. Bei dieser Gelegenheit habe ich aber auch zu meinem Erstaunen von dem Ohrenarzt (durch den Spiegel) erfahren, daß meine Ohren ganz normal beschaffen sind, und nur die Schleimhäute es sind, die sich davor legen, und ich dadurch schwer höre. Als Kind, sagt der Arzt, hätte es gehoben werden können, jetzt habe ich nur vorsichtig gegen Erkältung zu sein, weiteres läßt sich nicht tun. Nun aber genug von dieser Leidensgeschichte.
Von Hamburg aus hätte ich Dir gar zu gern einen Gruß gesandt, aber es ging nicht. Deine Schwester sah ich gleich nach meiner Ankunft. . . .
Berlin ist mir jetzt, nachdem ich nun die 2 Monate dort war, doch wieder verleidet worden, ich fühle mich nicht behaglich. Die Menschen im allgemeinen sind mir doch zu kalt und krittelich. Joachim sah ich so viel wie gar nicht – 3–4 mal. – Sie war immer krank. Er erst von der Mühlerschen Geschichte ganz eingenommen, was sehr begreiflich war, dann durch einen Fall ans Haus gefesselt. So war denn von einem gemütlichen Zusammensein keine Rede. . . . Die Stimmung war im allgemeinen auch sehr gedrückt, ich selbst lebte unter diesem Drucke, das trug nun natürlich auch zum Unbehagen bei und wäre in Wien z. B. weit geringer gewesen, weil man doch immer abgezogen worden wäre. Wir haben übrigens immer die besten Nachrichten vom Ferdinand, der jetzt mit Dr. Schaper (Cellist, den Du vielleicht von Berlin kennst) in Villiers le bel ist, und durch diesen (der als Arzt natürlich viele Bevorzugungen hat und väterlich für ihn sorgt) sehr begünstigt in allem möglichen ist.
Freilich, die Vorpostendienste sind schlimm und oft gefahrvoll. Ich freute mich sehr neulich, als er mir schrieb, er sei zu dem Generalarzt zur Bescherung gebeten gewesen, wo sie einen schönen Baum und reiche Geschenke an Eß- und Trinkwaren hatten. Hätte ich das doch vorher gewußt, ich hätte mit etwas mehr Heiterkeit den Abend, wo ich doch vier meiner Kinder (Elise war von Frankfurt gekommen) um mich hatte, verlebt, während ich so immer dachte, wo er wohl sein möge, ob er vielleicht, während wir um den Christbaum standen und im behaglichen Zimmer Punsch tranken, auf einem Vorposten, vor Kälte mit den Zähnen klappernd stehe! Es war ein schwerer heiliger Abend, der Gedanke an den armen Ludwig auch trostlos genug! Ein merkwürdiger Widerstreit von Gefühlen! Ich empfand doch auch wieder die Dankbarkeit, daß es mir vergönnt war, vier der Kinder um mich zu haben, was mir lange nicht geschehen war.
. . . . Gehst Du denn wieder zum Requiem nach Bremen? In Köln war es von Gernsheim sehr schön ausgeführt, auch von Dietrich in Oldenburg. Nächsten 17. spiele ich in Köln, da soll ich Dietrichs Sinfonie hören. Ich sprach letzteren neulich beim Beethoven-Konzert in Bremen, was übrigens recht schön war, schöner als das Hamburger, welches zu banal war.
Herzlich freut mich Ebners Anwesenheit in Wien für Dich. Ob ich sie kenne? Du selbst hattest mich ihnen ja empfohlen. Grüße beide freundlichst.
. . . . Nach England gehe ich am 23. d. M., bis dahin bin ich hier, wohne aber bei Direktor Bendemann. Willst Du mir die Freude eines Briefes noch hierher machen? oder mich in London: 14 Hyde Park Gate Kensington begrüßen? Das wäre auch schön! Man geht gern mit freundlichem Geleite, findet aber auch gern einen heimatlichen Gruß im fernen Lande, am liebsten hat man freilich beides – des Guten gibt es wohl kaum zu viel im Leben.
So sei denn noch herzlich gegrüßt. Laß mich von Dir (und Deinen Arbeiten!!!) hören. Wie im alten, so im neuen Jahr Deine
altgetreue
Clara.
Ich gehe morgen zu Woldemar nach Rotterdam, ihm in seinem Benefiz-Konzert zu spielen, bin aber schon Freitag wieder hier.
Eugenie geht mit nach England. Burnands luden sie sehr freundlich ein. Joachim geht nicht nach Rußland.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Düsseldorf
Empfänger: Brahms, Johannes (246)
  Empfangsort: Wien
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
1168-1172

  Standort/Quelle:*)
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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