23.01.2024

Briefe



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ID: 23207
Geschrieben am: Freitag 06.07.1877
 

Kiel, den 6. Juli 1877.
Liebster Johannes,
das war ja eine wundervolle Überraschung, die ich hier vorfand! Nun denke aber, wie sonderbar, Tags nach meiner Ankunft reckte ich mir beim Öffnen eines Schiebfaches eine Sehne an der rechten Hand aus, und, welch eine herrliche Zuflucht war mir da die Chaconne. So etwas bringst auch nur Du fertig, wie so merkwürdig ist mir dabei, wie die Wirkung des Klanges so ganz einem die der Geige vergegenwärtigt! Wie kamst Du nur darauf, das ist mir so wunderbar. Ganz halten es nun freilich meine Finger nicht aus, an der Stelle, wo die
[Notenbeispiel] sind, erlahme ich stets, und fährt dann meine Rechte beinahe krampfhaft dazu, sonst finde ich durchaus keine unüberwindliche Schwierigkeit, und, großes Pläsier. –
Daß ich Dir nicht früher gedankt, lag nur an meiner Hand – sie ist zwar seit einigen Tagen wieder gut, aber ich durfte sie nicht anstrengen, und mein Sekretär ist nicht bei mir, ich bin allein hier, Marie und Eugenie in Baden; da unser Haus leer stand, so riet ich ihnen sehr, statt in Berlin, doch lieber in Baden zuzubringen. Nimm denn recht schönen Dank, daß Du mir die Freude gemacht – es war sehr nett von Dir! –
Also in Pörtschach bist Du? Hätte man nur eine Idee, wo das ist! Schade, daß Du nicht in die Schweiz gingest, vielleicht hättest Du uns von Zürich aus ’mal im Prättigau besucht! Wir wollen diesmal nach Spinabad, eine Stunde über Davos, sehen, wie es uns gefällt, und in letzterem Falle bleiben. Volklands gehen auch hin, und so denken wir, einen Aufenthalt von 4–5 Wochen dort zu machen. Darnach werden wir wohl nach Baden gehen und dort diesmal bis Mitte Oktober bleiben, da ich Engagements in Basel, Zürich, Karlsruhe, Mannheim etc. abmachen will.
Von mir kann ich Dir soweit Gutes sagen, was meine Gesundheit anbetrifft, aber ich bin tief betrübt, wir haben einen höchst schmerzlichen Verlust gehabt; Marmorito hat seinen ältesten Knaben, ein selten begabtes Kind, liebenswürdig, anmutig, Juliens Liebling, verloren. In diesem Kinde konzentrierte sich Marmoritos ganze Liebe zu Julie, er hatte all seine Hoffnungen auf ihn gebaut, und nun mit einem Schlage alles vernichtet. Ich hatte den Jungen sehr lieb, innig kann ich sagen – sein Anblick vergegenwärtigte mir so sehr seine Mutter, und Marmorito schrieb mir, daß er dieser von Tag zu Tag ähnlicher wurde. Der Mann ist ganz zerschmettert, ich weiß nicht, wie er es tragen soll! Den ganzen Winter hatte ich mich auf das Wiedersehen im Herbst mit Marmorito und den Kindern gefreut, und nun dieser Schmerz!
Ein großes Glück ist es, daß er noch den Jüngsten hat, man kann sich aber denken, daß nach solchen Schlägen der Mann kaum aufzuatmen wagt.
Von Groths kann ich Dir nichts Gutes sagen, sie waren im Süden, aber die Frau kam nicht besser zurück, und ist augenblicklich sehr schlimm . . . .
Ich muß Dir nun doch auch noch danken für den 2. Brief, Härtels betreffend, der mir sehr viel klarer war als der erste. Ach, ich weiß nun aber doch nicht, was tun, um endlich ’mal mit ihnen ins klare zu kommen. Novello schrieb ich, daß ich nie daran gedacht hätte, ihnen das Eigentumsrecht für alle Länder zu überlassen, und daß, falls er nicht von dieser Bedingung abginge, ich unsere Angelegenheit als abgebrochen ansehen müsse, da ich Härtels schon früher Versprechungen gegeben hätte. Darauf erhielt ich, zu meiner wahren Herzenserleichterung, keine Antwort, freilich bin ich um eine schöne Einnahme gekommen, aber ruhig, daß ich nicht mit zweien zu tun habe. Ich dachte, nun doch ’mal an Härtels zu schreiben, daß die Sache mit Novellos aus sei, daß ich sie aus Rücksicht für sie fallen ließ, nun aber gern wüßte, was sie darüber dächten, in welcher Weise sie mich für die Revision zu honorieren dächten? Was meinst Du dazu? Bitte, sage es mir, das Hin und Her ist doch peinlich, sie müßten sich denn doch endlich ’mal aussprechen; oder soll ich die ganze Sache jetzt ruhen lassen, bis sie wieder anfangen? Daß es mit Novello aus ist, muß ich wohl schreiben . . . .
Ich sehne mich sehr, von Dir zu hören, wie es Dir geht, wie Du Dich eingerichtet – was Du arbeitest, darf man wohl nicht fragen? Meine Gedanken sind so oft bei Dir, öfter als Du denkst, und, weiß ich Dich anderswo als in Wien, so irre ich damit umher, was mir recht ungemütlich ist.
Ich verlasse Kiel am 11., von da ab ist meine Adresse bis 16. in Düsseldorf. Adresse: 7 Jägerhofstraße, Bendemann, dann Lichtenthal bei Baden-Baden Nr. 14. Dort bleibe ich wohl auch einige Tage, will zuvor aber ’mal Beckeraths und einige andere am Rhein besuchen, da ich allein bin. Ich erspare den Kindern solche Besuche gern – sie lieben sie nicht, und ich verstehe ihr Gefühl vollkommen.
Große Freude, das muß ich Dir doch noch sagen, habe ich an einem Stück in Fis moll „Unruhig bewegt“, welches Du mir am 12. September 1871 schicktest. Es ist furchtbar schwer, aber so wundervoll, so innig und schwermütig, daß mir beim Spielen immer ganz wonnig und wehmütig ums Herz wird. So hab’ denn auch dafür noch ’mal Dank!
Sei gegrüßt, mein lieber Freund, und behalte lieb
Deine Clara.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Kiel
  Empfänger: Brahms, Johannes (246)
Empfangsort: Pörtschach
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
1380-1384

  Standort/Quelle:*)
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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