23.01.2024

Briefe



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ID: 23219
Geschrieben am: Sonntag 06.03.1870
 

London, den 6. März 1870.
14 Hyde Park Gate, Kensington.
Lieber Johannes,
ich benutze eine freie Sonntagsstunde, Dir meinen schönsten Dank für Deinen Brief zu senden, dessen Fortsetzung aber doch wohl nicht von selbst erfolgt (wie Du am Schlusse Deines Briefes es versprachest), wofür ich denn gern ein gutes Wort einlege. Also eine schöne Wohnung hast Du? ich kann Dir nicht sagen, wie lieb mir das ist. Ich mochte Dir früher nichts sagen, aber ich fand Deine frühere Wohnung gar traurig, und dachte mir Dich immer ungern darin. Nun könntest Du Dir eigentlich eine junge nette Frau nehmen mit etwas Geld nebenbei – dann würde es doch erst recht gemütlich werden. Freilich kenne ich Deine Gedanken über all dies, doch, weil ich Dir so sehr ein home wünsche, möchte ich immer wieder davon sprechen – wir Frauen sind nun ’mal so, wir fangen immer wieder von vorn an, wenn unser Herz dabei ins Spiel kommt. Hoffentlich behältst Du diese Wohnung, und ich sehe Dich im nächsten Winter noch darin –, vorher aber erst in Baden! Kannst Du Dir nicht einen kleinen Ofen setzen lassen? Es würde sich gewiß noch verlohnen, denn einstweilen haben wir es wieder kalt genug. Wir fühlen es aber diesmal weniger als je, da Burnands es uns so behaglich wie möglich machen. Sie lassen uns nicht fort, und wir lassen uns dies nur gar zu gern gefallen. Im übrigen geht es mir auch außerordentlich – ich bin enthusiastischer denn je aufgenommen und habe auch, trotz aller Ängstlichkeit, glücklich gespielt, bin aber schrecklich gequält mit allerlei Erscheinungen in Armen und Fingern; jeder Tag fast bringt mir einen neuen Schreck, immer kommt es wie angeflogen, und immer schone ich mich von einem Konzert zum andern so viel als möglich, was aber höchst unbehaglich ist. Bis jetzt konnte ich aber doch immer spielen, nur die ersten beiden Konzerte mußte ich von Calais aus abtelegraphieren, denn dort saßen wir drei Tage und konnten nicht herüber, weil wegen des furchtbaren Sturmes keine Schiffe gingen. Das waren fürchterliche Tage, keine Menschenseele, kein Buch, nichts bei uns, mußten uns alles kaufen, ein Klavier nicht aufzutreiben, schließlich auch kein Geld mehr. Da bin ich ’mal recht bestraft worden, wenn ich sagte, die zwei Stunden zur See seien nicht mehr als zweie zu Land. – Übrigens kommt ein solcher Fall höchst selten vor. Du kannst Dir denken, daß endlich die Überfahrt nicht die sanfteste war.
Stockhausen sang neulich hier einmal und hatte zu meiner Freude ein großes Succés, es war aber das einzige Mal, daß er in London sang. Tags darauf mußte er fort, erst wieder nach Stuttgart, dann nach Rußland. Ostern will er wiederkommen, es war aber schade, daß er nicht fortsingen konnte. Er hatte hier im Lande eine Tour von 5 Wochen mit zwei Sängern gemacht, die seiner sehr unwürdig waren; er meinte, um sich in London bekannt zu machen, hier aber wußte kein Mensch davon. Das war recht verkehrt! Man macht sich doch nicht vorteilhaft hier bekannt dadurch, daß man mit solch einer Gesellschaft und mit solchem Unternehmer im Lande umherreist.
Er beginnt aber immer das Verkehrte. Er hoffte, sich mit Joachim wieder aussöhnen zu können, es glückte aber nicht – Joachim hat ihm nur gesagt: „Du bist ein großer Sänger!“
Ich muß Dir doch eine Freude erzählen, die ich neulich hatte. Du weißt, Julie lamentiert sehr über ihr schlechtes Pianino in Turin, und versprach ich ihr und Marmorito, mich bei Broadwood zu bemühen, ihnen einen Stutzflügel zum Künstlerpreis zu verschaffen. Als ich nun Broadwood davon sprach, sagte dieser sogleich, ich solle nicht von irgendeinem Preise sprechen, er sei glücklich, eine Gelegenheit zu finden, mir seine Dankbarkeit und Verehrung etc. zu beweisen, indem er Julien ein Instrument zum Geschenk macht. War das nicht großartig? Ich habe nun eine Malerin hier gebeten, die hat mir auf einen Briefbogen ein Instrument, von vier Musen durch die Lüfte getragen (oben darauf steht ein kleiner Amor auf der Fußspitze, der ganz reizend gemacht ist) gemalt – Marie hat ein allerliebstes Gedicht dazu gemacht und ich dann dazu geschrieben. Dies erhält sie nun gerade zu ihrem Geburtstag. Welch eine Überraschung wird ihr das sein.
Jetzt muß ich aber schließen und erbitte mir recht bald die bewußte Fortsetzung.
So sei denn wohlgemut, friere nicht, lasse Dir ein Öfchen setzen (es ist nichts schlimmer für den Menschen, als eine geistig anstrengende Tätigkeit in kaltem Zimmer), und habe immer lieb Deine
altgetreue
Clara.
Marie grüßt schönstens.
Grüße, wen Du mir Wohlgesinntes siehst. Schreibe mir ’was über die Meistersinger, aber nicht als Anti-Wagnerianerin . .

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: London
  Empfänger: Brahms, Johannes (246)
Empfangsort: Wien
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
1143-1146

  Standort/Quelle:*)
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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