23.01.2024

Briefe



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ID: 23224
Geschrieben am: Dienstag 09.07.1878
 

Wildbad-Gastein bei Moser.
9. Juli 1878.
Liebster Johannes,
wie lange trage ich den Dank für Deinen lieben letzten Brief und die schöne Sendung mit mir herum! Hier kommt man aber zu gar nichts, weil man pflichtgemäß jede freie Zeit, die nicht durch die Kur in Anspruch genommen wird, im Freien bummeln soll. Soviel ich kann, lebe ich danach, aber, schwer wird’s mir.
Die Lieder erhielt ich, wie ich Dir schon meldete, nachgesandt, ehe ich Dir aber darüber schreiben konnte, mußte ich ein Klavier haben, denn ohne solches konnte ich mich doch nicht so in sie hineinleben, wie ich es gern tue. Das Klavier, so jämmerlich es ist, habe ich es doch schon einige Stunden gänzlich vergessen, so habe ich geschwärmt. Meine Lieblinge sind das H dur in 4/4, das A moll (Serbisch). Todessehnen, wo mich die erste Seite ganz besonders tief ergreift, dann auch das von Keller, . . . . auch das „Versunken“ habe ich gern, besonders in der Mitte die einschmeichelnden Takte, dann wieder die unheimlichen Unisonos! In dem Heineschen „Dämmernd liegt der Sommerabend“ sind mir die ersten Takte in der harmonischen Fortschreitung nicht sympathisch, sonst erscheinen mir die beiden Lieder interessant, feinsinnig, aber weniger begeisternd. Von den Frühlingsliedern ist mir das mittlere in Es dur das liebste, nur hätte ich gern die Schlußtakte
[Noten] heraus, diese klingen mir immer trivial. Darf ich sonst noch einige Bemerkungen machen, so wären es folgende: in dem „Todessehnen“ in der Mitte, da, wo es ins Fis dur geht, möchte ich das ais in der Singstimme (und Begleitung natürlich) lieber erst einen Takt später eintreten sehen, so daß im Takt vorher man schon etwas vorbereitet würde, ich meine bei den Worten: „wo das schwesterliche Wesen Deinem Wesen sich vermählt“ zwei Takte vor den sechs , erst ais eintretend und Takt vorher durch eine kleine Veränderung der Harmonie vorbereitend. So ist mir bei dem H dur-Lied „ich saß zu Deinen Füßen“ der Rückgang in das H dur etwas kurz, da man vorher so fest in Fis dur ist. Ließe sich vor dem Zwischenspiel (im Takte vorher) nicht schon eine Andeutung des H dur durch die Dominante geben? Oder das Zwischenspiel (Übergang) ein paar Takte länger? Wie bezaubernd ist aber das ganze Lied, die Stimmung gleich von Anfang an, die Triolen zu den Achteln, ach, und der Schluß!!! Noch fällt mir ein, daß in dem „Todessehnen“ am Schluß, zwei letzten Takte des Gesanges das durchgehende Dis (rechte Hand Begleitung) mich immer etwas unangenehm berührt, behieltest Du das vorhergehende bei, so klänge es sanfter, etwa so:
Verzeihe, jetzt wo ich es hinschreiben will, erschrecke ich über meine Kühnheit dem Komponisten gegenüber – Du weißt es ja besser als ich, wenn Du es überhaupt ändern willst. Zu etwas nehme ich mir aber doch den Mut, das ist, Dich zu bitten, das erste Frühlingslied und das D dur-Duett nicht drucken zu lassen, denn diese beiden Gesänge würde ich eher jedem anderen zuschreiben als Dir. – Von der Walpurgisnacht bin ich ganz entzückt, würdig steht diese der Ballade „Edward“ zur Seite. Da hätte ich aber auch ein Bedenken, zu zwei so gewaltigen Stücken ein so scharf kontrastierendes zu nehmen, wie das „guter Rat“, so geistreich es auch ist. Ich wünschte mir als drittes Stück kein so schauerlich ernstes, aber ein sanfteres. Man singt solch ein Heft doch immer hintereinander, und wirkt ein so schroffer Wechsel der Stimmungen doch nicht wohltuend. Du siehst, lieber Johannes, daß die Freundschaft zu Dir den Respekt zuweilen in den Hintergrund drängt, sei mir darum nicht böse, er ist ja nichtsdestoweniger groß genug. Beweise mir, daß Du nicht zürnst, und schicke bald wieder!
Von Gastein muß ich Dir sagen, daß ich es herrlich finde, wie liegt es so malerisch, den mächtigen Wasserfall, der alle, die ich noch gesehen, übertrifft, einschließend, und wie wunderschöne Täler liegen darum herum nach jeder Seite hin. Das Klima ist wahrhaft erquickend, leider nur regnet es immer. Livia ist auch zur Kur hier, was mich sehr freut – hier ist sie ’mal so ganz losgelöst von allem Häuslichen. Wir denken, hier bis Ende des Monats zu bleiben, was dann, weiß ich noch nicht. Leider tritt bei uns Baden immer mehr in den Hintergrund, da es mir vorigen, freilich nassen Herbst so schlecht bekommen ist. Sollte ich deshalb nun ganz um die Freude kommen, Dich zu sehen, das wäre doch hart! Könnten wir uns denn nicht irgendwo anders auf ein paar Wochen treffen? Ich bin ja ganz frei vom 1. August an bis Anfang September, wo ich doch in Frankfurt einziehen möchte. Ich sah mir die Karte an wegen einem Besuch in Pörtschach, aber das ist doch gar weit noch von hier. Überlege ’mal, und schreibe mir darüber.
Von Gustav Jansen erhielt ich einen Brief, den ich Dir schicke – wäre er vielleicht dazu geeignet, Briefe vom Robert herauszugeben? Es gibt nur freilich gar zu wenige! Jansen scheint ja große Begeisterung zu haben, aber ich wüßte doch nicht, was tun? Gib mir Rat, bitte, und schicke mir den Brief wieder
. . . . . Eine Bekannte von Dir, Frau Deichmann, ist auch da; sie wollte Dir durchaus schreiben, Du möchtest hierherkommen, ich sagte ihr aber, es würde Dir hier das Bade-Gewimmel nicht behagen. Ich hätte Dich auch lieber an einem andern Orte! –
Nun, liebster Freund, sei mir innigst gegrüßt. Marie sendet auch ihre Grüße. Eugenie ist mit der Fillu bei der Gomperz und gehen in einigen Tagen in die Prein bei Wien – wir treffen erst im September wieder zusammen.
In alter Liebe
Deine
Clara.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Wildbad Gastein
  Empfänger: Brahms, Johannes (246)
Empfangsort: Pörtschach
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
1453-1458

  Standort/Quelle:*)
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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