23.01.2024

Briefe



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ID: 23236
Geschrieben am: Sonntag 02.02.1879
 

Frankfurt a. M., den 2. Februar 1879.
Lieber Johannes,
jetzt sind wir beide wohl wieder im alten Geleise, und nun wäre es wohl zu wünschen, man hörte wieder einmal voneinander!? Zwar weiß ich wohl von Deinen und Joachims Erfolgen, hätte es aber auch gerne von Dir gehört. Es muß ja gar schön in Pest und Wien gewesen sein. Ach, hätte ich doch das Konzert hören können! Erst vorgestern bin ich aus der Schweiz, wo ich vier Konzerte hatte, zurückgekehrt – es müßten Dir die Ohren geklungen haben von alledem, was wir, Volkland und ich, in traulichen Stunden gesprochen haben, aber Du hörtest in der Zeit andere Klänge, die wohl freilich noch schöner waren. Sobald Du einen Klavierauszug vom Konzert gemacht, bitte ich Dich darum, ich kann es freilich hier wohl niemand spielen lassen, da es ja so sehr schwer sein soll, aber ich mache mir doch einen Begriff. Es geht bei uns sehr schlecht, Felix nimmt zusehends ab, obgleich er sich noch immer außerhalb des Bettes hält; der Arme leidet unbeschreiblich, und wir mit ihm. Ich kann Dir nicht sagen, wie traurigen Herzens ich bin! Ich sehe ihn nur immer minutenweise, weil es ihn zu sehr angreift, aber es blutet mir das Herz, wenn ich ihn sehe, und bei allen Beschäftigungen, welche es auch seien, sehe ich immer ihn, den armen Dulder, und muß wirklich alle Kraft der Seele zusammennehmen, daß ich nicht dem Schmerze unterliege. Diese Krankheit ist doch die grausamste, die es geben kann, wo man in keiner Weise etwas erleichtern kann, nur immer wortlos dasteht. Das Leiden ist so unaufhörlich, daß der arme Kranke durch nichts auch nur auf Minuten zu zerstreuen ist. Ach, ich schreibe Dir so viel davon, aber Du kannst wohl denken, wie dieser Kummer mein ganzes Sein jetzt umfaßt.
Merkwürdig war es mir jetzt bei den Konzerten, daß ich so ganz frei und kräftig spielen konnte, und doch so traurig dabei war, keinen Augenblick den Kummer vergaß.
Doch genug! Darf ich Dir bald ’mal etwas schicken zur Korrektur?
Nimm noch einen herzlichen Gruß – ich bringe heute nicht viel anderes fertig.
Deine alte treue
Clara.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Frankfurt am Main
  Empfänger: Brahms, Johannes (246)
Empfangsort: Wien
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
1487f.

  Standort/Quelle:*)
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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