23.01.2024

Briefe



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ID: 23291
Geschrieben am: Mittwoch 05.12.1883
 

Frankfurt, den 5. Dezember 1883 morgens.
Lieber Johannes,
in diesem Augenblicke, wo ich gerade im Begriff stehe, Deinen letzten Brief, der mir auf die Reise nachgesandt wurde, zu beantworten, erhalte ich von Utrecht das Telegramm, daß [sic] H. Faber so freundlich war, an Engelmanns für mich zu schicken. Du kannst Dir denken, wie sehr es mich gefreut hat! Ich wollte nur, ich wäre noch in Utrecht gewesen, als es kam, wir hätten uns dann mit den Utrechtern zusammen gefreut. Bitte, danke Herrn Faber vielmals von mir, das war so gar liebenswürdig von ihm. Es würde sich in die Freude wohl viel Wehmut gemischt haben, hätten wir nicht die Aussicht, die Symphonie bald zu hören – natürlich komme ich dazu nach Wiesbaden.
Du wußtest wohl durch Frau Fritsch von meiner kleinen Reise, die sehr nach Wunsch ausgefallen ist, obgleich ich die ganze Zeit sehr an Rheumatismus litt, nur nicht in den Armen, zum Glück.
Mit dem Schubert hast Du Dir aber doch wieder eine Last aufgeladen – warum, wenn es gar nicht nach Deinem Sinne war?
Das ist ja ein riesiges Unternehmen! Sie konnten sich freilich an niemand Besseren wenden, als an Dich, da Du so genau alles kennst. – Ich habe vorgestern Hiller auf der Durchreise besucht, fand ihn geistig frisch, aber moralisch sehr herunter, was ja auch sehr natürlich ist.
Warum er sein Dirigieramt nicht niederlegt, ist mir unbegreiflich, denn es schadet ihm mehr als alles, und nicht nur seiner Gesundheit, sondern auch seiner Stellung. Ich möchte doch um alles in der Welt nicht beim öffentlich Erscheinen bemitleidet sein! –
Ihm bleibt ja so viel anderes noch, wenn er sich zurückzöge. Seine Familie leidet sehr darunter. Ich glaube nicht, daß ich ihn wiedersehe, hatte Mühe, meinen Schmerz beim Abschied zu bewältigen.
Wir erwarten morgen Ethel Smythe für ein paar Tage. Über deren Fortschritte bin ich doch sehr erstaunt; wenn sie auch keine Originalität als Komponistin hat, so habe ich vor solchem Können bei einem Mädchen doch Respekt.
Abends.
Der Brief blieb liegen – inzwischen habe ich mir von Frau Fritsch viel erzählen lassen – ich wollte, sie hätte mir mit Deinem Gruße auch das Arrangement der Symphonie für 2 Klaviere gebracht, da könnte man sie doch, bevor man sie vom Orchester hört, ordentlich kennen lernen. Hier hinken sie doch immer nach – nun bist Du so in der Nähe und führst die Symphonie überall, nur nicht hier auf! – Sehen werden wir Dich aber doch auch hier? – Zu erzählen gibt es sonst nichts von Interesse.
Ich schließe, sei herzlich von uns allen gegrüßt, und laß von Deinen allerlei Plänen bald hören
Deine alte
Clara.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Frankfurt am Main
  Empfänger: Brahms, Johannes (246)
Empfangsort: Wien
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
1689ff.

  Standort/Quelle:*)
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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