23.01.2024

Briefe



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ID: 23377
Geschrieben am: Dienstag 28.07.1891
 

Franzensbad, den 28. Juli 1891.
Lieber Johannes,
wie oft dachte ich daran, Dir zu schreiben, aber ich war so viel unwohl, daß ich kaum das Nötigste erledigen konnte, und auch heute bin ich wieder infolge eines Hexenschusses im Rücken recht elend, ich möchte jedoch nicht mit der Schuld auf meinem Gewissen von hier reisen. Die neue schwere Prüfung mit dem vielem, was daran hängt, hat mich doch mehr mitgenommen, als ich anfangs glaubte. Gott sei Dank fanden wir in Gera einen sehr treuen Freund Ferdinands, der Antonien in all der Zeit helfend zur Seite stand. Nun ruht natürlich alle Verantwortung für die Kinder auf uns.
Hier ist es, wie immer, entsetzlich langweilig, Bekannte treffen wir stets sehr wenige; diesmal aber wieder Schmitt aus Schwerin, der doch sehr unglücklich ist, daß man ihn in Frankfurt nicht gewählt hat. Er möchte die Theaterstellung aufgeben und nur noch Konzert-Direktor sein.
Herzogenbergs Requiem habe ich nun auch erhalten, kam hier aber nicht dazu, es kennen zu lernen – ich fürchte mich etwas davor, sagte ihm doch so gern, was er gern hören möchte! –
Der Brief, von dem Du mir schreibt [sic], vom Robert an Stern, würde mich sehr freuen, wenn Du mir ihn schicken wolltest, und ich brauche wohl kaum zu sagen, wie lieb es mir wäre, die Gesangsquartette zu erhalten – ich hoffe, Du widerstehst der Versuchung, sie mir zu schicken, nicht. Ich habe in Obersalzberg Gelegenheit, zuweilen ein Klavier benutzen zu können, und könnte sie dort gut kennen lernen, soweit das eben am Klavier möglich ist. Wir reisen morgen nach München, wo ich Hildebrand zu sehen mich sehr freue, dann Freitag nach Berchtesgaden, dort hoffe ich, Anna Franz, Vossens und Emma Preußer zu sehen – Sonntag, will’s Gott, rücken wir ein in unsere gemütlichen Zimmer bei der Moritz. Wäre ich nur wohler, ich habe kaum den Mut, für die nächste Stunde etwas zu bestimmen – das ist sehr schwer für mich. Kämpfen habe ich gelernt in meinem langen Leben, aber bisher die Gesundheit dazu gehabt, nun ist diese so geschwächt, daß ich mir recht sehr alt erscheine, gar keine Tatkraft mehr habe! –
Doch genug, leb’ wohl, benutze bald meine Adresse in Obersalzberg bei Berchtesgaden, Pension Moritz, womit Du erfreust
Deine alte Clara.
Marie grüßt, in ihr habe ich einen wahren Schutzengel um mich.
P. S. Wie sehr der Tod Mr. Burnands mich betrübt, schrieb ich Dir gar nicht, ach, es versteht sich ja von selbst! ich habe nun mein „home“ in England verloren.
Vor einigen Tagen starb auch die alte Frau Wagner in Hamburg. In Düsseldorf die arme Wittgenstein an schwerer Krankheit. Es wird immer leerer um einen.

[Umschlag]
Herrn
Dr Johannes Brahms.
aus Wien.
Bad Ischl
Oesterreich.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Franzensbad
  Empfänger: Brahms, Johannes (246)
Empfangsort: Ischl
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
2015ff.

  Standort/Quelle:*) Umschlag: A-Wst: 55746,6b
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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