23.01.2024

Briefe



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ID: 23393
Geschrieben am: Samstag 25.02.1893
 

Frankfurt a./M., den 25. Februar 1893.
Lieber Johannes,
herzlich erfreut war ich über Deine guten Nachrichten, doppelt, als ich, wie Du sagst, die Veranlassung zu Deiner Reise war. Daß es Dir bei uns behaglich, war mir zu hören besonders lieb, wenngleich ich immer das Bedauern empfand, Dir gar nichts bieten zu können, außer uns selbst, und das ist sehr einfach. –
Friedchen schrieb mir sehr beglückt, – wie gönne ich ihr die Freude, die doppelte, die sie durch Dich genossen. Wie sie sich mit ihrem schwachen Körper so obenauf hält über alles Leid, das schätze ich sehr hoch. . . . . . Hier gab es in letzter Zeit viel Leben, wovon ich eben nur hörte. Die Leute waren ganz verrückt mit Rubinstein. Sie nahmen seine Kompositionen mit Jubel auf, d. h. in der Hoffnung, er werde noch spielen, das geschah aber erst nach der Matinee – da hat er viel gespielt, Marie sagt, manches zauberhaft, anderes wieder so zügellos wild, daß man gemeint hätte, ein Orkan breche über den Saal herein. Da ich nicht in Konzerte gehe, sah ich ihn auch nicht, Marie fand ihn entsetzlich verwittert aussehend. Was man so hört, war er lediglich immer mit seinen Kompositionen beschäftigt. Er räsonnierte auf das Theater, daß sie seine Opern nicht gäben, was versucht worden ist, wo aber nur das erstemal Publikum, als er selbst dirigierte, sich einfand, dann es leere Häuser gab. Darüber hat er sehr ungeniert gesprochen. Unter anderem sagte er, als jemand äußerte: Kogel imitiere Bülow, nun, dann weiß ich nicht, welcher der größere Esel ist, Bülow oder Kogel.
Eine ganze Schar von hier zog vorige Woche nach Bonn zu dem Beethoven-Abend, den er für das B.-Haus gab. Er spielte vier Sonaten und gab eine zu – also 5 Sonaten. Mir kommt ein solcher Massen-Vortrag unkünstlerisch vor. In so eine Sonate legt man doch seine ganze Seele, kann man das in fünfen? Das ist aber wohl pedantisch – ich passe eben gar nicht mehr in unsere Zeit. Gott sei Dank, einer ist da, an den wir Gutgesinnten uns klammern, wie an einen Rettungsanker, das bist Du, und wenn ich daran so recht denke, wird mir weich ums Herz und dankbar, daß es so ist.
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Letzte Woche war ich ziemlich viel in Gesellschaften (frühe natürlich), und es ging! Die Leute begrüßen mich alle so herzlich, als ob ich schon begraben gewesen wäre.
Doch welch ein Plauderbrief ist das geworden! –
Ich will schnell schließen, sei von uns beiden herzlichst gegrüßt, und laß bald ’mal wieder von Dir hören
Deiner alten
Clara.
Wie geht es Frau Fellinger? Bitte, danke ihr für ihren letzten Brief. Möchte sie doch wirklich gesünder jetzt werden. Wie gern sähe ich sie und die Franz mit Schwestern ’mal wieder! –

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Frankfurt am Main
  Empfänger: Brahms, Johannes (246)
Empfangsort: Wien
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
2100ff.

  Standort/Quelle:*)
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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