23.01.2024

Briefe



Rückwärts
	
ID: 25222
Geschrieben am: Sonntag 14.02.1858
 

Genf den 14t Februar 1858
Liebe Emilie,
Ich konnte Dir früher nicht schreiben, weil ich wirklich in Stuttgart furchtbar beschäftigt war. Jetzt kann ich dies leider nicht sagen, denn ich bin nichts weniger denn beschäfftigt; Du siehst mich jetzt in derselben Lage wie damals in München. Gleich den ersten Tag nach meiner Ankunft hier, befiel mich derselbe schmerzhafte Rheumatismus, aber diesmal im rechten Arm; heute ist es der 10te Tag daß ich gar Nichts thun kann, das Concert mußte abgesagt werden, und noch weiß ich nicht, wann ich werde spielen können. In München hatte ich Euch, die Ihr mich so liebevoll die Zeit vergessen machtet, hier haben wir Nichts, weder Freunde, noch Theater, noch ein herrliches Orchester, noch Freund Bärmann ect. Unser Lebenslauf gleicht förmlich dem einer Schnecke, doch will ich |2| nicht vergessen zu erwähnen, was täglich unser Auge ergötzt, der wunderbare See und die Alpen ausgebreitet vor unserm Fenster. Ich wäre schon abgereißt, wenn ich es nicht für vernünftiger hielte, doch wenigstens hier meine Kosten zu decken, die enorm sind; trotzdem wir in einem Privat-Logie wohnen kostet doch jeder Tag mindestens 5 Th; im glücklichen Falle, daß ich mein Concert Freitag den 19ten geben kann, sind wir 14 Tage vorher hier gewesen. Wie Du siehst ist Nettchen noch bei mir, muß mich aber, sobald ich hier und in Lausanne fertig bin, verlassen, und ich muß dann sehen, wie ich weiter komme.
In Stuttgart ist es uns außerordentlich gut gegangen, doch hatte ich auch dort Schaden durch die Grippe. Die Kronprinzess lud mich einen Abend ein, ich spielte 2 Stunden ohne |3| Aufhören die schwersten Sachen die sie sich Alle bestellte, und sie honorirte mich mit – 100 Gulden!!!!
Vom Conservatoir aus machte man mir Anträge, ganz nach Stuttgart überzusiedeln, doch ich stellte die Bedingung daß ich durch einen Gehalt vom Hofe aus gesichert sein wolle – nun werden sie wohl operiren; jedenfalls wird es noch eine Weile dauern.
Bei Krais waren wir höchst angenehm, sind konnte man sagen, auf Händen getragen. Herr Krais ist ein Original! einen kleinen Beweis Dir zu geben, er ließ die Glocken an den Uhren stimmen, die Thüren sanfter zugehend machen, damit meine musikalischen Ohren nicht beleidigt würden, und sagte Tags zuvor, ehe ich ankam zu seiner Frau „Du, ich kann doch gar nicht mehr Clavier spielen hören“! ist das nicht spaßhaft? ich soll noch einmal nach Stuttgart kommen |4| und noch ein Concert dort geben, so auch in Tübingen; ob ich es thue, das hängt von meinem Arme ab, jedenfalls aber gehe ich über Stuttgart zurück. Meine Rückkehr nach Hause wird sich wohl bis Ostern hinziehen, denn bis jetzt konnte ich noch nicht mehr <e> erübrigen als ich zu Hause in 4 Monaten <br> aufgebraucht haben würde.
Es freut mich aus Deinem Briefe zu ersehen, daß Ihr Alle wohl seid. Elise werde ich kaum in Jena sehen, denn die Feiertage werde ich wohl in Berlin sein. Grüße sie, so wie Deine liebe Mutter, herzlichst. Schreibst Du mir in den nächsten 3 Wochen, so thue es durch Rieter-Biedermann in Wint<h>erthur.
Auch Lina grüße mir sehr; sage ihr, daß ich gestern die recht traurige Nachricht von Demme’s erhielt, daß ihr dritter Sohn Richard heimlich das Haus verlassen, und wie sie vermuthen, sich in holländische Dienste begeben. Sie sind tief gebeugt, die Armen!
Sey liebend umarmt von
Deiner alten getreuen
Clara
Wie geht es dem Ober? grüße ihn sehr.
Sicherheit halber unfrankirt.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Genf
  Empfänger: List, Emilie (962)
  Empfangsort: München
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 8
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit der Familie List und anderen Münchner Korrespondenten / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Ekaterina Smyka / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-019-3
352ff.

  Standort/Quelle:*) Slg. Cornides 74a/b
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



Wir verwenden Cookies, um Ihnen den bestmöglichen Service zu gewährleisten (Mehr Informationen).
Wenn Sie auf unserer Seite weitersurfen, stimmen Sie bitte der Cookie-Nutzung zu. Ich stimme zu.