23.01.2024

Briefe



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ID: 26609
Geschrieben am: Montag 27.10.1834
 

Braunschweig d. 27. October [18]34
Liebes Tinchen,
Ich fange heute schon wieder an zu schreiben, damit ich Dir nach Kräften meine Person ersetze, u. weil ich jetzt noch eher Zeit habe, als zu Ende dieser Woche, wo (f. d. 3. Nov.) das Concert ist. Ich bin seit 8 Tagen garnicht wohl u. habe heute ein dickes Gesicht, so daß die Clara mehrere Concertbesorgungen allein übernehmen muß, z. B. zu dem Intendant des Theaters (J. v. Münchhausen) zu gehen u. Erlaubniss zum Concert einzuholen u. auch, daß Herr Kapellmeister Methfessel u. der Tenorist Bußmeier pp. singen dürfen. – Zum nächsten Sonnabend ist der große adelige Picnic, u. sie ließen uns sagen durch Müllers (die ihre Concerte wegen Clara aufschieben, überhaupt alles für uns thun als höchste Ausnahme) es erst den 6ten zu geben. Du kennst aber meinen Aberglauben. Schiebt man ein Concert auf, so ist man schon halb verloren – es bleibt dabei, u. die Adeligen mögen in das 2te Concert gehen. – Um durch Braunschweigischen Egoismus durchzudringen, dazu gehört eine Clara, u. obendrein auch so viel Zeit, als ich aufwende. Nun sind wir schon so halb die ihrigen, - nun heißt es erst „Clara die große Pianistin welche auf dem elendesten Instrumente das große Trio von Beethoven u. dito die A Dur Sonate mit den Müllers spielt“, denn feierten diese Clara nicht, so würde doch alles nichts helfen, z. B. Lafont hat 80 Zuhörer gehabt pp. – Ich erwarte nun Briefe von Dir. Clara’s Lied „In einem dunklen Thal“, es ist verloren gegangen. Es ist noch einmal da, packt es dem Flügel mit bei, (es ist noch einmal da unter unseren Noten) wenn er noch nicht abgegangen ist. d. 29. Clara ist jetzt sehr oft so unbesonnen, herrisch, voller unvernünftigem Widerspruch, nachlässig, um höchsten Grade unfolgsam, grob, eckig, ungeschliffen, ungeheuer faul, eigensinnig eitel auf Lumpen (an andere Eitelkeit ist garnicht mehr zu denken denn sie hat nicht das geringste Interesse mehr für die Kunst, und Zeit zum studieren gar nicht, da sie erst um 9 Uhr aufsteht halb 11 Uhr fertig ist, dann Besuche kommen, Mittag zu Tische gebeten ist u. Nachmittag aufs höchste unglücklich ist, wenn sie spielen soll, weil sie dann nur an das Theater denkt u. – an die Herren) kurz, was aus ihr werden soll, weiß Gott – zu Hause bleiben kann sie auch nicht. Den letzten Rest meines Lebens ärgere ich mich ab, und selten kann ich mich über sie freuen – ohne Betrübnis. Es vergeht kein Tag, wo sie mich nicht durch obige Eigenschaften kränkt. Wenn ich nicht wäre, würde sie kein einziges Stück vollendet spielen – denn sie ist so zerstreut, daß sie in der Regel nicht weiß, ob sie spielt, und der Eigensinn dabei verzerrt ihr Gesicht. Den Flügel werde ich nicht verkaufen können, da sie ja so unbesonnen ist, ihn immerwährend zu tadeln, sich gegen andere Leute über dessen schwere Spielart zu beklagen u. ihn so in üblen Ruf bringt. Welche Opfer bringe ich meiner Eitelkeit? – Ich würde von hier umkehren, wenn ich nicht fürchten müßte, Ihr hättet den Flügel schon abgeschickt, und sie uns in Hannover erwarten.
Mit dem Flügel werden wir wohl hier ein gleiches Unglück wie in Halberstadt erleben. Ich habe ihn zwar ¼ Ton herunter stimmen lassen, aber das B u. H verstimmen sich nach jedesmaligem Spiel, und ich bin ungewiß, ob ich soll andere u. schwächere Saiten aufziehen lassen. Ich sitze schon seit 2 Stunden hier und schneide Hämmer aus mit einem stumpfen Messer und muß ganz still seyn. – Frage nur Mohn, warum das Pedale alle 2 Tage von Neuem knarrt.
Einen Bayer u. Conrad Graf spielt man 2 Jahr, u. es geschieht nicht. Nun habe ich kein Handwerkszeug u. muß nun nach einem hiesigen Instrumentenmacher das Maul aufsperren.
d. 29. Abends. Eben habe ich Eure Briefe erhalten. – Mein Tinchen, ich habe Dir ja wohl schon geschrieben, daß Du meiner Mutter 5 RL schicken sollst. Ist diess schon geschehen, so schicke noch 3 Thaler. – Ich behalte mir das Honorar vor und 1/3 der Noten bis Weihnachten, das Uebrige sey Gott befohlen. – Eine Zeitung kann jetzt nicht mehr in die Höhe kommen. Damit z. B. die Eleganten, Comet, Planet pp. hier nicht in die Höhe kommen, so giebt Harrys in Hannover eine „Posaune“ heraus, die alles dergl. in nuce enthält. Diese wird hier u. in Hannover gelesen – die übrigen Blätter bloß an wenigen Orten. Hartmann soll froh seyn – daß er alles los ist – Schumann soll aber auch froh seyn – daß er eine regelmäßige Beschäftigung u. Sorgen bekommt, damit er endlich die Hauptsorge d. h. die dicke Baronesse von Fricken umschließen könne. – Du alter Langfuss Hartmann, ich hätte Dir die Zeitung gelassen und mit 15 RL Honorar u. die Noten ausgebeten. Du hast wenigstens so viel Glück – als Verstand. Der Correspondenzartikel in deinem Himmelskörper, - dessen Lampenlicht Du nicht verbrennen mögest, ist eben gut.
Nun, mein lieber Banck, nur nicht so lebensmüde, sonst ist der Papa am Ende munterer wie Sie! Schumann wird in u. außer seinem somnambulen Zustande Sie doch zum Mitarbeiter erwählen? Nehmen Sie die 15 RL und lassen Sie Schumann den Profit. Wenn eine dergl. Zeitung 500 Exemplare bekommt, so verpflichte ich mich, die verworrensten Artikel darein zu setzen u. zu drucken. Mein liebes Tinchen, ich vermisse dich allerdings. Vermisst Du meine Briefe? – Mit Eifer – sucht dich mein Geist und findet dich immer nur in deinen zärtlichen Briefen.
Darmstädt soll die nöthigsten Neuigkeiten anschaffen. An Tomaschek schreibt, daß ich meine Einladung zu seiner Herkunft längst schon auf das dringendste gemacht und ihn deshalb in der Osterwoche schon erwartet hätte. Die Interessen für das ausgelegte Capital u. die Lagermiethe für so schlechte Instrumente incl. für die nöthigsten Reparaturen daran, um sie nur aufstellen zu können, würden mir für solche Instrumente ein gutes und längst ersehntes Kapital in die Hände geben.
Die Livia erwartet das Publikum hier mit Freuden. Es ist aber ein kaltes Publikum hier. – O, wenn doch der Vetter nun abstände von diesen heißen Brettern. Außer dem Theater zu singen, ist noch schöner! Des Vetters thörichtes Unternehmen ist in Stegmeiers Augen so gleichgültig, daß er niemals Etwas gegen ihn haben kann. Des Vetters zarte Kolibrihaut wird selten in ein Verhältniss passen, - in ein Theaterverhältniss nie. Hat er keine Revolution aus Köthen u. Dessau mitgebracht? Der Vetter soll diesen Theaterabschnitt ignorieren, u. Pastor werden, dann ziehen die Bauern die Mützen u. er kann immer noch sagen „Ihr Flegel“! Das von Clara behalte für dich, u. das Uebrige lies bloss vor. – Einen Bericht über Braunschweig folgt ein andermal. Pixis Concert kann ich nicht mehr geben – die Stimmen sind in Halberstadt verloren gegangen u. hier hat man es nicht.
d. 30. morgens: ich bin diese Nacht sehr krank gewesen u. habe viel Schmerzen ausgestanden. Auguste mußte aufbleiben, weil ich fürchtete, es könnte mich der Schlag rühren. Heute geht es besser, ich bin aber sehr matt u. habe eine sehr aufgeschwollene Backe. Dabei bin ich sehr betrübt u. reitzbar. Es wird wohl vorübergehen – ängstige dich nicht. Ich bin ein abgehärteter Ehemann und habe schon manches mit und ohne Eifer – ertragen gelernt.


  Absender: Wieck, Friedrich (1709)
  Absendeort: Braunschweig
  Empfänger: Wieck, Clementine (1708)
  Empfangsort:

  Standort/Quelle:*)
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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