23.01.2024

Briefe



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ID: 26699
Geschrieben am: Mittwoch 25.01.1843
 

Leipzig d. 25//1 1843
Meine liebe Elise,
so sehr mich Dein Brief von gestern einestheils bestürzte, so beruhigte er mich doch auch über Manches, was lange in mir umgegangen war, und was ich gestern Morgen der Emilie ganz offen geschrieben; es wird sie betrüben, doch als aufrichtige Freundin mußte ich es ihr schreiben, und hoffe sie wird glauben, daß wir nur Dein Bestes wünschen. Daß Du in Berlin nichts ausrichten würdest fürchtete ich schon vorher, doch wäre es grausam gewesen, Dir dies zu sagen, die Du mit den schönsten Hoffnungen hingingst. Einen Versuch mußtest Du machen zu Deiner eigenen Beruhigung. Mit Liszt hast Du gefehlt, der hat wollen bestürmt sein; es ist übrigens sehr unnoble von ihm, Dich erst nach Berlin zu locken und dann keine Notiz von Dir zu nehmen – was helfen seine schönen Worte! ich sagte Dir aber gleich, Ihr vertraut zu viel auf ihn. Auf ihn zu warten, Geld in Berlin zu verzehren, und dann am Ende dies wieder vergebens, dazu kann ich nicht rathen. Was hast Du, wenn Du noch 3 Wochen wartest, 6 Wochen also für Nichts und gar Nichts, – wenn Du dann ein Concert machst, wo Du 300 Thaler rein übrig hast |2| geht das nicht auf die Zehrung? und nun, kommt der Liszt wirklich? willst Du aber doch auf ihn warten, so schreibe ihm wenigstens gleich, er möchte Dich nicht mit Versprechungen hinhalten, sondern offen schreiben, ob oder ob nicht.
Siehst Du, liebe Elise, da hast Du Dich in den vielen Zirkeln herumgetrieben – was helfen sie Dir? arrangiren sie ein Concert? verwenden sie sich beim Theater-Indendanten [sic] für Dich, Nein. Nichts thuen sie, als sie nehmen ein paar lumpige Billets, und kümmern sich sonst nicht um Dich, wenn Du einmal bei ihnen gegessen und gesungen hast.
Meine Mutter schreibt mir unter Anderem: „Mit ihrer großen Delikatesse hat sie es bei Liszt versehen, sie hätte ihn an sein Versprechen erinnern müssen; wäre sie früher zu mir gekommen, ich hätte nicht los gelassen, er hätte festgehalten <werden> müssen werden; Liszt ist hier ein ganz anderer Mensch, als an anderen Orten; hier ist er so erhaben, nur die höchsten Zirkel können ihn haben, was Wunder, wenn er verlangt, daß Elise sich um ihn bemühen muß.“ Hättest Du meine Mutter, als Du nach Berlin kamst, besucht und dafür eine andere Visite aufgeschoben, wer weiß, wozu es gut gewesen. Daß Du überhaupt meine Mutter erst nach beinah 3 Wochen besuchst, ist eine große Unfreundlichkeit gegen mich.
|3| Nun vor Allem aber zur Hauptsache, was jetzt zu thuen! Dein Entschluß von der Laufbahn als Concertsängerin abzugehen, stimmt ganz mit meinen Ansichten überein, das Publikum macht an eine Concertsängerin gar zu große Ansprüche; solltest Du es aber nicht noch einmal in Deutschland mit dem Theater versuchen? wer weiß welche Gewandtheit Du in einem halben Jahr bekämest, wie Du auch im Gesang an Sicherheit gewinnen würdest, und da kannst Du etwas für Deine Eltern thuen, wenn auch nicht gleich im Anfang. Du wirst erst unglücklich sein, doch wirst Du Dich gewöhnen, Aufmunterung von Seiten des Publikums wird Dir Liebe zur Sache einflößen und eben so anständig kannst Du als Theatersängerin dastehen, als so – Du kannst mit den Theaterleuten freundlich sein und Dich doch retirée halten. Als Gesellschafterin sind Dir alle Mittel abgeschnitten Deine Eltern zu unterstützen, Du bist noch zu jung, Dich in ein solches Joch schmieden zu lassen; doch willst Du mit dem Theater durchaus ┌nicht┐, so bleibt freilich nichts übrig, wenn Du nicht zu Deinen Eltern willst. Ueberlege Dir Alles wohl, ehe Du einen schnellen Schritt thust – übrigens geht das mit einer Stelle auch nicht so schnell, da vergeht ein viertel Jahr, ehe sich das arrangirt. Komme zu mir, mein Lieschen, laß uns die Sache noch einmal recht ordentlich überlegen, bei mir bist Du immer mit derselben Liebe aufgenommen, und |4| gewiß rathe ich Dir nur zu Deinem Besten. Ich will Dich trösten so viel in meinen Kräfften steht, und überlegen, wo Du zuerst auftreten könntest, etwa in Weimar? doch wir sprechen uns ja! oder hast Du Dich wieder anders besonnen? schreibe mir gleich, wie es in Berlin noch wird, ect. ect. Hat Dir der König kein schönes Geschenk gemacht?
Ich kann Dir nicht sagen wie leid Du uns thust, in solch einer Lage und Niemand von den Deinigen bei Dir. Doch haben sie Dich nun einmal so allein in die Welt gelassen, so mußt Du Dich auch nicht gleich einschüchtern lassen – Du bist doch ein selbstständiges Wesen, und brauchst auch Zeit zur Ueberlegung. Du sollst nicht ungehorsam sein, doch, was Du unternimmst von allen Seiten betrachten, und ob es auch zu Deinem Wohl ist.
Adieu, mein Lieschen! denke an mich, schreibe mir gleich, oder komme, jedenfalls thue Nichts ohne uns, Niemand meint es so aufrichtig als wir.
Deine Clara.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Leipzig
  Empfänger: List, Emilie (962)
  Empfangsort: Berlin
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 8
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit der Familie List und anderen Münchner Korrespondenten / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Ekaterina Smyka / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-019-3
186-189

  Standort/Quelle:*) Slg. Cornides 18a/b;
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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