23.01.2024

Briefe



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ID: 26710
Geschrieben am: Dienstag 15.06.1847
 

Dresden d. 15 Juni 1847
Nur wenig Worte heute, meine liebe Elise! Schönsten Dank für Deine lieben Zeilen gestern, die ausführlich zu beantworten ich mir später vornehme; heute gilt es nur meiner Sachen halber, daß ich Dir schreibe, da ich bis jetzt Nichts erhielt, und mich auch gar nicht danach erkundigen kann, da ich nicht weiß, an wen sie hier geschickt sind? bitte, liebste Elise, frage doch Deinen Mann, wo ich mich hier darnach erkundigen kann? es ist mir recht unangenehm, daß ich sie noch immer nicht habe – wenn sie nur nicht am Ende gar verloren sind! da würde ich mich doch sehr alterieren! ist denn bei dem Fuhrmann, der sie in Empfang genommen nichts zu erfahren? wie leid thut es mir Deinen Mann so viel zu bemühen! er soll uns nur auch einmal Etwas für Sich zu thuen geben! –
Als Dein Brief kam, glaubte ich erst es sey eine freudige Nachricht von Dir, denn immer hatte ich die Zeit Anfangs |2| Juni geglaubt. Nun bald, hoffe ich, hast Du Alles überstanden, wäre ich doch auch erst wieder so weit! ich leide recht sehr an Mattigkeit und Folge dessen natürlich Verstimmung, denn ich kann nicht so viel arbeiten, als ich möchte, und ich bin einmal nur zufrieden, wenn ich mir jeden Tag sagen kann, ich habe etwas vollbracht. Für Deine Nachrichten über Hebbel dankt Dir Robert freundlichst – er hatte übrigens selbst schon an ihn geschrieben, und eine sehr freundliche Antwort erhalten. Robert stellt ihn als Dichter hoch, wenn auch nicht Alles schön ist, besonders gefällt er sich oft im Grassen – das Wort habe ich noch nie geschrieben, weiß nicht ob’s richtig ist. Seine Stücke sind übrigens gar nicht für die Bühne berechnet, hat er wohl auch nicht die Absicht sie aufzuführen.
Die Viardot gab hier drei Gastrollen und zwei Concerte in Zeit von 8 Tagen. Sie versteht es, Geld zu machen! als |3| Concertsängerin ist sie wohl die brillanteste, die existirt, auf der Bühne aber gefällt sie mir nicht (entre nous)! ihre Bewegungen <er>scheinen mir durchaus aller Grazie und Anmuth zu entbehren, und ist ihr Spiel meist sehr übertrieben, was freilich manchen Leuten wohl gefällt. Ich habe sie in Berlin oft und fast in allen Rollen gesehen, und fand sie am besten als Rosine, wo sie Gelegenheit hat ihre große Bravour zu zeigen. Uebrigens spricht sie aber das Deutsch sehr schön aus – sie hat alle Rollen in deutscher Sprache gelernt; eine geniale Frau bleibt sie immer! ich glaube, es fehlt nur an Jemandem, der sie auf die Fehler aufmerksam macht, in die sie, oft durch ihr Genie verleitet, verfällt. Uebrigens lieb ich sie wie immer, und erfahre auch von ihr immer gleiche Freundschaft. Frl. Zerr hat neulich hier als Norma gastiert, und ein bedeutendes Fiasco |4| gemacht, wie es lange nicht da war! ja, die Leute sind hier doch auch so sehr dumm nicht! man hat das Zittern der Stimme lächerlich und ihre Colloratur höchst mangelhaft gefunden.
Der Fall mit Mendelssohn’s Schwester ist sehr traurig! ich hatte sie erst jetzt in Berlin näher kennen gelernt, und schätzte sie hoch! wir sahen uns täglich, und hatten schon zusammen verabredet, uns, wenn wir ganz nach Berlin kämen, recht viel zu sehen, und mit einander zu musicieren. Sie war wohl die ausgezeichnetste Musikerin ihrer Zeit, und für das ganze musikalische Leben in Berlin eine wichtige Person – man hörte bei ihr nur Gutes. Ich hatte ihr mein Trio, das ich täglich aus dem Druck erwarte, dedicirt, und nun ist sie tod! – Mich und meinen Mann hatte dieser Fall sehr erschüttert! – Die zweite Suleika ist von ihr, „Auf Flügeln des Gesanges“ aber nicht – sie sagte mir’s selbst.
Das sollten nur ein paar Zeilen werden und sind 4 Seiten geworden – die Feder ist wieder einmal mit dem Herzen davon gelaufen zu meiner lieben Elise! noch meinen innigsten Kuß und das Beste vom Himmel auf Dich herab!
Deine Clara.
Mila, Lina und Deiner lieben Mutter, auch dem Manne das herzlichste von mir. Marie und Elise grüßen schönstens. Du hättest sie jetzt täglich in <und> Deinen Farben sehen können – ich meine, in den reizenden Kleidern! –

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Dresden
  Empfänger: Pacher, Elise von, geb. List (1162)
  Empfangsort: Schönau
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 8
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit der Familie List und anderen Münchner Korrespondenten / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Ekaterina Smyka / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-019-3
230-233

  Standort/Quelle:*) Slg. Cornides 32a/b
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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