St. Goarshausen
Den 6 August 57
Meine liebe Emilie,
sey mir nicht bös, daß ich Dir auf Deinen letzten Brief nicht wieder schrieb – es stürmt immer gar zu Vieles auf mich ein, so daß ich wirklich selten dazu komme andere, als wirklich nöthige Briefe, zu schreiben. Ich war wieder 10 Wochen in England, obgleich die Saison eine höchst ungünstige war, und ich von den Instrumentalisten die Einzige bin, welche nicht zugesetzt hat. Ich wußte das vorher, ging aber doch hin, weil man in England durchaus mehrere Male nach einander kommen muß, will man sich einigermaßen bekannt machen. Was Du mir betreff Englands schriebst, darüber sprechen wir einmal, bald, hoffe ich! –
|2| Kaum wage ich es Dir wieder zu schreiben, daß ich nun wirklich allen Ernstes kommen will – aber wirklich glaube ich jetzt, es wird nun endlich werden. Ich bitte Dich nun mit Lachner abermals zu sprechen, ob es im November günstig ist? wann die früheste Zeit ist, wo ich kommen kann? ich soll Ende Octbr. nach der Schweiz kommen, und würde das alsdann mit München vereinigen. Würdest Du mich <abe[?]> auf dieser Reise begleiten können, so würden wir uns irgendwo Rendezvous geben, und dann nach München zusammen zurückkehren, was so ungefähr in die erste Hälfte des Nov. fiele, wenn nämlich dann Etwas für mich zu arrangieren ist, was ich jedoch meinen sollte, da ja der Nov. eigentlich überall günstig ist. Ich könnte mich aber auch so einrichten, daß ich |3| Ende Nov. käme und bis gegen Weihnachten bliebe, dann ginge ich an die anderen Orte vorher. Das wüßte ich nun aber gern bald da ich jetzt bald überall hinschreiben muß. Willst Du, liebe Emilie noch ein Mal Dich all der Mühen unterziehen? Ich adressiere diese Zeilen nach München – jedenfalls werden sie doch in Deine Hände kommen, wenn Ihr auch in der Schweiz seyd. Wie gern wäre ich da wieder hin, doch dies Jahr hielt ich es für besser ruhig an einem nicht zu theueren Orte zu leben, und Rheinbäder regelmäßig zu gebrauchen, was ich dann hier, wo es gar lieblich ist, thue. Ich habe hier meine zwei jüngsten Kinder mit, und mein Freund Brahms begleitet mich auch – auch mein Instrument habe ich mit, und, so ist’s so gemüthlich von Außen wie möglich. Joachim hat uns auf 14 Tage besucht, was uns |4| eine freudige Ueberraschung war. In meinem Inneren aber sieht es gar traurig <st> aus – ich werde nie wieder froh, das fühle ich täglich mehr und mehr. Doch klagen wollte ich Dir nicht – ach, es hat ja ein Jeder sein schweres Leid zu tragen, wenngleich das schwerste wohl ist sein Liebstes zu begraben, das Leben bekömmt einen nie zu heilenden Riß.
Ich hoffe Euch Allen geht es gut! gewiß genießt Ihr bei dem herrlichen Wetter recht die himmlische Schweiz!
Deine Antwort sende nach Düsseldorf, abzugeben bei „Fräulein Rosalie Leser.“ Noch muß ich Dir mittheilen, daß ich im Octbr. (Anfang) nach Berlin ziehe, wo ich jetzt meine drei ältesten Töchter in Pension habe. Meine zwei Knaben sind in Jena beim Professor Stoy seit 3 Monaten. Marie ist nun confirmirt, und ein großes, starkes Mädchen.
So leb denn wohl – ich grüße Euch, vor Allem Dich herzlichst.
Deine
Clara
Sicherheit halber frankiere ich nicht, thue es auch nicht.
|5| Wie merkwürdig ist doch manchmal der Zufall! eben hatte ich diesen Brief auf die Post gebracht, da erhalte ich von Düsseld den Deinigen, und nachdem ich schnell zur Post gelaufen, erhielt ich meinen an Dich wieder zurück, der im anderen Falle wohl lange umher gereist wäre. Ich bin nicht wenig erstaunt Euch in Paris zu wissen, und begreife eigentlich gar nicht recht, daß Elise dahin in’s Seebad mußte. Nun, wenn es Ihr nur recht gut thut, dann ist es ja gleich, wo sie’s gebraucht hat. Welch sonderbarer Zufall, daß Euer Fritz auch in dieselbe Pension kommt zu Stoy! sie ist ausgezeichnet, und bin ich gar sehr glücklich meine Knaben dort zu wissen. Es war höchste Zeit, daß sie unter gute Aufsicht kamen. Ich habe die Absicht sie im Octbr. dort zu besuchen, werde Euch dann aber freilich dort nicht treffen. Ich bitte Dich dringend |6| schreibe mir gleich von welcher Zeit an Du bestimmt wieder in München bist? ich will dann selbst an Lachner schreiben – oder willst Du es, da Du Ihn kennst für mich thuen? oder ist gar nichts nöthig, soll ich’s <j> lassen, bis ich selbst da bin? nach der Schweiz kannst Du nun natürlich nicht mit mir, wenn ich Dich aber dann nur wenigstens in München finde? kommst Du nicht bestimmt zurück, so ordne ich meinen Plan auf andere Weise. Bitte, schreib es mir gleich.
Ich freuete mich sehr, daß ich einmal wieder von Euch hörte und doch so weit ziemlich Gutes. Freilich ist es hart, im Sommer in Paris zu leben, statt am Genfer oder Vierwaldstätter See!
Der Brief soll nun wirklich fort – ich bin ungeduldig auf Deine Antwort! – Adressiere jetzt (diesen Monat) St. Goarshausen am Rhein, im Adler bei Herrn Nathan.
Noch einmal von Herzen
Deine
Clara.
Grüße sehr Elise.