23.01.2024

Briefe



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ID: 26730
Geschrieben am: Donnerstag 27.09.1860
 

Mehlem bei Godesberg d. 27 Septbr. 1860
Meine liebe Elise,
innig froh war ich heute von Julie zu hören, daß Ihr glücklich, und noch am selben Tage, in München angekommen. Wie soll ich Dir aber, und der lieben Mila, danken für Euere Güte für Julie? Ich muß Euch recht, wie ein Klotz vorgekommen sein, daß ich so gar nichts sagte, und doch empfinde ich es so warm und dankbar, was Ihr mir thut! – Ich habe den ganzen Tag kaum anderes denken können, als an |2| Julie, die mir so unendlich am Herzen liegt, und für die ich mich doch in mancher Hinsicht recht sorge. Sie darf sich doch nicht zu viel anstrengen, soll also nur zwei Stunden täglich üben; später, wo sie wieder andere Stunden weniger hat, holt sie dann bald nach! Ich habe heute auch ihretwegen an den lieben Dr Pfeuffer geschrieben, und sie Ihm recht an’s Herz gelegt. – Was das Spatzierengehen Juliens betrifft, da bitte ich Dich, liebste Elise, Alles daran zu setzen, daß sie Jemand findet, mit Dem sie täglich geht – Wege nach der Schule rechne ich für nichts, sie muß in’s Freye! |3| An meinen beiden Jungen sehe ich jetzt wieder, wie wichtig das ist, ich finde sie sehr schlecht aussehend, sie leben sehr gut, also offenbar fehlt ihnen Luft und Bewegung. Glaube mir, die ganze Zukunft des Kindes, und namentlich meiner Kinder, die sich durch Fleiß und Kenntnisse durchs Leben helfen müssen, beruht in der Kräfftigung des Körpers. Wie hätte ich denn Alles ausgehalten, hätte nicht mein Vater so streng auf tägliche Bewegung in der Luft, und bei jedem Wetter, gehalten? Könnte man nicht irgend ein junges Mädchen finden, die sich dazu gegen ein kleines Honorar verpflichtete, täglich zu einer bestimmten Zeit, |4| am besten <,> gleich nach Tisch, die Kinder (Deiner Hedwig kann das nur sehr gut sein) abzuholen und mit ihnen 1 1/2 Stunde, wenn’s schönes Wetter, zwei Stunden zu laufen? wie gern bezahle ich dafür, und wäre es mehr, als für eine Lernstunde.
Ich glaube mit den Stunden muß ich mich doch wohl etwas beschränken, z. B. Nähstunde lassen wir lieber ganz, und soll sie diese Zeit zum Spatzierengehen benutzen – ist sie confirmirt, und, im Sommer, wo die Tage länger, da kann sie noch nähen genug. Dann wäre vielleicht französisch genug? doch das überlasse ich Dir. Nöthig sind: 2 Clavier, 2 Turnstunden, Geschichte u. Literatur, natürlich |5| die Vorbereitungsstunden, und wennmöglich, eine Tanzstunde wöchentlich. Englisch ist mir doch auch lieb, jedoch lassen wir das Nähen ┌jedenfalls┐ weg, es ist wirklich besser jetzt.
Kaffee und Thee laß sie bitte nicht trinken, auch nicht verdünnt – Beides macht Kinder nervös, und wird Dir das jeder Arzt bestädtigen. Ein kleines Glas Bier Abends ist ihr vielleicht gut. Statt Kaffee und Thee, Milch gewiß das Beste.
Verzeihe, daß ich Dir Alles so ausführlich schreibe, und auf Dingen verweile, die Dir vielleicht übertrieben scheinen, Du weißt aber aus Erfahrung, daß man für seine Kinder das, |6| was man für sie gut hält, mit aller Krafft zu erreichen sucht, und es muß, will man sich sagen können, man habe Alles gethan zu ihrem Besten.
Ich hoffe recht bald einmal von Euch zu hören, wie es mit Julie geht, ob sie Euch nicht zu viel Last macht, auch was Pfeuffer über sie sagt ect.
Ich bin jetzt furchtbar beschäfftigt, spiele am 23ten Octbr. in Cöln, d. 26, 29 u 1 Nov. in Dresden, d. 5, 10, u 15ten in Berlin, d. 17 in Hannover und will dann nach Belgien. In Dresden und Berlin sind es Trio-Soireen, was also ist da Alles zu besorgen, diese endlosen Schreibereien, dann muß ich doch auch studieren! verzeiht mir nur ja, wenn |7| ich selten schreibe, und denkt, daß ich doch Euerer in Liebe gedenke.
Noch Eines: sey doch so gut Julien jeden Sonnabend 5 Sgr zu geben – es wird ihr schwer zu verlangen. Sag ihr auch, daß sie die Briefe an mich nie von ihrem Taschengeld frankieren soll – sie braucht überhaupt nicht zu frankieren, und nun seyd mir Alle herzlichst gegrüßt. Sage Deiner lieben Mutter meinen Dank, daß sie, <Euch[?]> wie ich <s> mir denken kann, schon Nachsicht mit Julie gehabt, und für die, die sie noch haben wird im Voraus. Lina vergeßt auch nicht zu grüßen.
In aller Liebe Deine
Clara.
|8| Bärmann und Reinberger liegen bei – bitte, besorge Beides.
An Then habe ich schon vorgestern geschrieben und Ihn gebeten Dir zu antworten.
Schreibe ja Alles auf, was Du auslegst – bitte.
Die Kinder grüße auch.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Mehlem
  Empfänger: Pacher, Elise von, geb. List (1162)
  Empfangsort: München
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 8
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit der Familie List und anderen Münchner Korrespondenten / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Ekaterina Smyka / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-019-3
381-384

  Standort/Quelle:*) Slg. Cornides 87a/b/c/d
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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