Berlin d. 14 Octbr. 1861
Meine liebe Elise,
die erste freie Stunde nach endlosem häuslichem Troubel benutze ich, Dir ’noch ’mal meinen innigsten Dank auszusprechen für die liebevolle Pflege, die Ihr Julien habt angedeihen lassen. Wir fanden sie sehr wohl aussehend, auch gewachsen, obgleich nicht so groß, wie wir sie uns vorgestellt hatten; ob sie sich bei uns recht behaglich fühlt, das weiß ich nicht, so große Freude ich habe, sie wieder um mich zu sehen, so vermisse ich doch die Herzlichkeit, die ich mir nach ihren Briefen erwartet hätte, und das betrübt mich allerdings sehr, denn gerade ich bedarf sehr des herzlichen, zutraulichen Wesens um mich, und komme meinen Kindern immer so entgegen.
|2| Wie Du darauf kömmst zu große Strenge gegen Julie meinerseits zu fürchten, das weiß ich nicht, denn im Gegentheil wird mir von Allen, <um> die mich mit meinen Töchtern zusammen gesehen, immer zu große Aufmerksamkeit gegen Dieselben vorgeworfen und zu große Nachsicht; so streng ich gegen die Kinder bin, wenn sie klein sind, so wenig kann ich es sein, wenn sie erwachsener, reifer werden, dann treten sie mir bald näher als Freundin, und dann kann ich wohl alle Fehler bemerken und rügen, aber nicht mehr mit der Consequenz auf Aenderung bestehen, weil ich eben immer zu sehr die eigene Vernunft voraussetze. Juliens Fehler aber, die Unordnung, die allerdings groß, die <s> immer noch schlechte Haltung, und der Mangel an Sinn für Sparsamkeit, |3| kann ich nur durch größte Consequenz vermindern helfen. Nennst Du dies Strenge, nun, so bin ich streng, und weiß doch, daß mir es Julie später einmal dankt. Wenn Du mir aber in musikalischer Hinsicht keine Einsicht zutraust, da irrst Du am allermeisten, denn, wer wie ich weiß, was dazu gehört eine Sonate von Beethov. z. B. nur gut, ein Stück von Bach ohne Stocken zu spielen, der wird noch lange nicht hart urtheilen, wenn auch Beides nicht gelernt wäre; und, was das nervös sein bei der Musik betrifft, das kenne ich, leider, erst recht an mir selbst. Passiert es mir doch noch oft genug, daß ich ein neu einstudiertes Stück für mich sehr gut, vor Anderen nicht halb so kann. Wie sollte ich also Julien unbillig entgegen kommen. Uebrigens |4| hat sie vollkommen erfüllt, was ich Dir oben sagte, sie hat mir Beethov. u. Bach zu meiner Freude, und über mein Erwarten gut vorgespielt, jedenfalls technisch fleißig und aufmerksam studiert. Das Weitere hoffe ich nun zu erlangen, freilich wohl mit vieler Geduld. An das Reisen mit Julie denke ich mit großer Angst – für mich ist die Trennung v. Marien sehr schwer, sie war mir nicht nur Kind, sondern Freundin, oft sogar eine Stütze, was Julie schon ihres noch so jugendlichen Alters <(und ihrer> halber, nicht ersetzen kann. Dann fürchte ich sehr für ihre Gesundheit durch das unregelmäßige Leben. Die Aufregung durch die Musik fürchte ich jedoch nicht mehr so wie früher, denn ich habe mich überzeugt, daß ihr der eigentliche Eifer, die |5| Begeisterung, die sich keinen Ton gern entgehen läßt, <nicht> fehlt, wenigstens noch, was mich übrigens auch betrübt hat. Warum muß nun gerade meinen Kindern dieser Feuereifer fehlen! sie schrieb mir z. B. sie freue sich so mich wieder zu hören, und jetzt, wenn ich spiele, hört sie wenig darauf, sondern unterhält sich dabei mit den Kleinen, läuft hin und her, ect. Ich habe ihr nichts darüber gesagt, thue es auch nicht, ich will ’mal eine Zeit lang erst es mit ansehen, bin aber betrübt darüber.
Aber, liebste Elise, wie sehr stehe ich in Deiner Schuld, und immer antwortest Du mir nicht! was soll ich nun thuen?
Wie geht es Dir mit Deiner Gesundheit jetzt? wie mit den Kindern? sind die Vormundschaftsangelegenheiten gut geendet? und wie gehts |6| Mila und Deiner Mutter? ist Letztere ganz hergestellt? grüße sie doch recht herzlich, die theuere Mila eben so.
Ich habe jetzt Marie hier in der Wirtschaft eingerichtet, und zeigt sie sich sehr geschickt zu Allem; es war aber keine Kleinigkeit, das Alles einzurichten, und bin ich wirklich moralisch und physisch ganz herunter; ich werde daher einer Einladung nach Hamburg folgen und meinen lieben Freund Brahms besuchen, da will ich mich ’mal wieder geistig erfrischen für den Winter. Julie nehme ich mit. Sie schreibt Dir selbst.
Für die Kiste mit den Sachen meinen Dank, und schließlich nochmals innigste Grüße Euch Allen, und Dir die herzlichste Umarmung.
Deiner
dankbaren
Clara.
Meine Adresse ist immer hier: „Schöneberger Ufer Nro 22.“