23.01.2024

Briefe



Rückwärts
	
ID: 26743
Geschrieben am: Samstag 08.03.1862
 

Paris d. 8 März 1862.
Meine liebe Elise,
wie schwer liegt es mir schon lange auf dem Herzen, daß ich Dir noch nicht geschrieben auf Deinen lieben Brief, und hätte Dir doch so viel zu sagen gehabt! Ich erhielt aber denselben einen Tag vor meiner Abreise von Düsseldorf, mußte erst lange Zeit alles Schreiben unterlassen, weil ich wieder von meinem Rheumatismus im Arm befallen war, hatte dann aber die letzten 4 Wochen furchtbar viel zu spielen, fast immer einen Tag um den anderen, dazwischen immer das Reisen, dann wieder die Vorbereitungen zu meiner Reise hierher. Seit gestern Abend bin ich nun hier und benutze gleich den ersten Abend Dir endlich zu danken; möchte Dir so gern recht Vieles sagen, weiß aber kaum, wie es anfangen; wir müßten über Julie ’mal sprechen können, schreiben läßt sich das so schwer. Daß ich betrübt über Julie bin, kann |2| ich nicht läugnen, denn nicht ich allein, sondern Alle, die Mutter, Frl. Werner, Marie, haben sie unbegreiflich verändert gefunden; von der früheren Lebhaftigkeit keine Spur, verschlossen <gegen> im höchsten Grade, empfindlich auf eine Weise, wie es mir noch nie vorgekommen, für Nichts Interresse, sogar z. B. an Joachims Spiel nicht, <denn> und ein unnatürliches Wesen, gezwungen, keine Spur von Leichtigkeit, die sie doch früher hatte. Wir Alle haben schon hin und her überlegt, was zum Grunde liegen könnte, bis neulich eine Freundin Marien’s und auch Julien’s aus Hamburg, mit der sie viel verkehrte, Marien erzählte, daß Julie einen <schwärm[?]> religiös schwärmerischen Briefwechsel mit einer Freundin in München „Rasfeld“ und Deiner Hedwig führe, wo sie Seiten lang von der Jungfrau Maria ect. schwärmen. Du kannst Dir denken, welch einen Schrecken ich hatte, zugleich aber auch einsah, daß dagegen direct nicht einzuschreiten sey, und daß ich es der Zeit und äußeren Verhältnissen, Umgebungen z. B., die sie |3| herausreisen [sic], überlassen muß, diese Schwärmperiode glücklich an ihr vorübergehen zu lassen. Ob dies nun aber freilich der Grund, das hoffe ich von Dir ganz sicher zu erfahren, es beunruhigt mich sehr nicht hinter die Wahrheit kommen zu können.
Daß ich Julie zu Hause lies [sic], hatte seinen sehr gewichtigen Grund, ihre Gesundheit; sie hatte die ganze Zeit unserer Reise immer etwas Husten, trotzdem fand ich sie fast immer im November am offnen Fenster schreibend oder nähend, und äußerst empfindlich, wenn ich sie bat, doch an ihre Gesundheit zu denken, ferner brachte ich sie Abends fast nie zu Bett, ich bat sie nur immer, wo ich freilich hätte befehlen sollen – ich konnte immer ihren Bitten nicht widerstehen, und bereue jetzt diese Schwäche sehr. Julie war jetzt 4 Wochen sehr leidend, in Folge nervöser Abspannung, Ueberanstrengungen ┌und furchtbarem Husten ┐ ect. Du siehst, liebste Elise, wie sehr Recht ich immer hatte, wenn ich Dir sagte Julie sey noch zu jung und zart zum Reisen. Welch ein furchtbar anstrengendes Leben meines ist, davon habt Ihr, die Ihr still in Eueren Mauern sitzt, keine |4| Idee – als ich in München war, war ich ja unwohl, konntet Ihr also so ein rechtes Künstlertreiben bei mir gar nicht beobachten. Julie kann das nicht aushalten, und denke ich gar nicht daran sie diesen Winter noch mit mir zu nehmen, der Arzt hat es auch ganz entschieden verboten, denn sie bedarf der allergrößten Schonung, und schont sich selbst gar nicht, nimmt es aber sehr übel, wenn Marie z. B. sie dazu mahnt, wenn sie ihr Dinge, die der Arzt verboten, nicht giebt ect. Neulich stand sie zum ersten Male nach drei Wochen auf, und spielte gleich am ersten Tage 3 Stunden Clavier, so daß sie am Abend wieder fieberte. Marie wollte es nie glauben, daß Juliens Empfindlichkeit und Verschlossenheit so Einem das Leben erschweren könne, jetzt aber, wo sie 9 Wochen mit ihr war, sagt sie, sie begreife manchmal nicht, daß sie es aushalte. Tage lang sitzt sie mit Marien zusammen und spricht kein Wort, liest ihr auch nie ’mal etwas aus Briefen ihrer Freundinnen vor, worum Marie sie so oft bat, verschließt dieselben aber auf’s sorgfältigste vor ihr. Marie ist <eben> viel |5| zu delicat, als daß sie in Julie dringen würde, ebensowenig würde ich es je thuen. Julie hat in den letzten 4 Wochen, während der Krankheit, immer (im Anfang nämlich) an ihre Freundinnen geschrieben, an mich in der ganzen ┌Zeit ┐ nicht einmal, obgleich ich immer schrieb, daß ich mich so sehr nach Brief von ihr sehne. Du irrst sehr, wenn Du glaubst, ich sey nicht nachsichtig gegen sie gewesen, das ist wahrhaftig nicht der Fall, im Gegentheil habe ich mich beherrscht so viel als möglich, nicht ungeduldig zu werden, aber getadelt habe ich sie wegen ihrer Unordnung täglich, und mich unendlich bemüht auf alle Weise, mit liebevollen Vorstellungen, durch meine Betrübniß darüber, es half aber nichts. Allerdings habe ich schließlich gesagt, ich nehme sie nicht wieder mit mir, als bis sie durch eignen festen Willen, ordentlich geworden. Ich schrieb Dir schon früher, daß ich schlimmen Stand dadurch habe, daß Ihr Alle sie immer gelobt habt, daher kam ihr mein Tadel nun ungerecht vor – ihre Freundinnen haben mit ihr geschwärmt; ihre Schwester aber liebt sie innig, aber ruhig, das behagt ihr nicht. Ich hoffe |6| aber, es wird diese schlimme Zeit vorüber gehen – vielleicht gelingt es mir im Sommer sie körperlich zu stärken wenn ich sie mit in die Schweiz nehme, und mit der Körper-Kräfftigung wird ihr die moralische und geistige kommen. Gott gebe es! – Daß ihr Character ein edler, weiß ich längst, darum eben hoffe ich Alles. – Sie wird Dir geschrieben haben, daß Marie sich plötzlich entschlossen mich hierher zu begleiten, ich hätte sonst mit einer Freundin reisen müssen, dieser Gedanke war ihr aber gar zu hart. Julie zurück zu lassen war ihr aber auch sehr schwer, ich jedoch denke, wer weiß, ob es nicht auch sein Gutes hat – Julie wird vielleicht bald empfinden, was sie doch an der Schwester gehabt. Meine Unruhe und Sorge ist aber groß, daß sie so ganz auf sich angewiesen ist. <> Sie muß später regelmäßig beschäfftigt werden, sie arbeitet zu wenig, und das „bummeln“ macht auch eigensinnig. Ach, könnte ich nur ’mal einige Monate zu Haus sein, um alles in Zug zu bringen, aber es geht nicht! wenn ich den Winter ┌nicht ┐ sehr benutze, komme ich nicht aus, mein Haushalt und die Kinder, Schule, Pensionen, kosten zu viel.
|7| Dein großer Schmerz über das liebe heimgegangene Kind hat mich sehr betrübt, hänge ihm aber ja nicht auf Kosten Deiner anderen Kinder nach. Du hast doch noch zwei Kinder, also nicht alle Hoffnungen auf ein Glück begraben. Es ist gewiß auch nur im ersten gewaltigen Schmerze, daß Du das sagst? laß Hedwig doch ja nicht die feste Ueberzeugung gewinnen, daß Dir Cilla so viel lieber gewesen, als sie – ich weiß, daß sie sich oft darüber betrübt gegen Julie ausgesprochen, und fürchte sehr dies könnte eine Quelle großen Kummers für Dich werden. Verzeihe meine Mahnung, liebste Elise – ich hätte sie vor Deinem letzten Briefe nie gewagt, ich hätte es eben nicht geglaubt, aber in Diesem sprichst Du Dich so aus, <als> daß ich schließen kann, Hedwig sey Dir weit weniger lieb, als Cilla.
Von mir wird Dir Julie immer geschrieben haben, ich habe überall brillante Aufnahme gefunden, freilich weißt Du, die Einnahme steht nie im Verhältnis zur Aufnahme bei Instrumentalisten. Von hier aus bin ich aber so beredet worden zu kommen, daß ich mich endlich, nach 22 Jahren, einmal wieder entschlossen.
|8| Roberts Compositionen werden jetzt viel gespielt, aber wie mag das meistens seyn! da fühlte ich nun einen entschiedenen Drang den Musikern und nahen Freunden der Musik (nicht Publikum) die Sachen einmal im Geiste des Componisten vorzuführen. Das klingt arrogant, nicht wahr, aber gehört habe ich sie von Anderen noch nie schön – brillant wohl, aber mit dem Geist <welcher[?],> der darin liegt, nur von Brahms, sonst Keinem, und Dieser spielt sehr selten öffentlich.
Wie geht es denn bei Euch? was macht die liebe Mila? ich hörte so lange gar nichts von Ihr! grüße sie herzlichst, Lina, Deine Mutter ebenso. Schreibe mir bald wieder, (Du hast ja Zeit) und hoffentlich höre ich dann, daß Du ruhiger bist – der Himmel gebe Dir Krafft, Seelenstärke, die Du ja immer besessen, und so lebe denn wohl, theuere Elise.
Wie immer treu
Deine
Clara.
Bis Ostern ist meine Adresse: Paris, Rue d’Antin Nro 16, Hôtel des états unis.
Noch Eines, was ich vergessen betreff Juliens Kirchegehen. Glaub mir, ich hindere sie nie daran, nur einmal in Leipzig that ich es, wo es wirklich nicht ging, weil sie etwas Nöthiges zu thuen hatte für mich. Hat sie Dir dies <ge…[?]> geklagt, so war das Unrecht von ihr. Aber anhalten regelmäßig, das kann ich nicht da würde ich ja ┌mir u. ┐ meinen Kindern als Heuchlerin erscheinen, da sie meine Ansichten kennen. Mitunter erinnere ich sie, mehr aber kann ich nicht.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Paris
  Empfänger: Pacher, Elise von, geb. List (1162)
  Empfangsort: München
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 8
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit der Familie List und anderen Münchner Korrespondenten / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Ekaterina Smyka / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-019-3
416-421

  Standort/Quelle:*) Slg. Cornides 98a/b/c/d
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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