23.01.2024

Briefe



Rückwärts
	
ID: 26744
Geschrieben am: Samstag 15.03.1862
 

Paris d. 15 März 1862.
Liebe Elise,
keinen Augenblick mag ich säumen mich gegen einen Verdacht von Dir zu vertheidigen, der durchaus ungerecht! sagte ich, daß Julie verändert sey, so gab ich nicht Euch, sondern den Verhältnissen die Schuld. So wahr ich je Euere Freundin war, so wahr ist es, daß ich eher an zu liebevolle und nachsichtige Behandlung <, als> Euererseits geglaubt, als an das Gegentheil. Julie war an Strenge gar nicht gewöhnt, jetzt kommt sie zu mir, und ich halte streng auf Ordnung, lasse sie z. B. nicht eher zu Bett, als bis sie ihre Sachen weggeräumt, was ich ihr selbst jeden Abend vorthue, gehe nicht eher mit ihr aus, |2| als bis ihre Hauskleider, Schürze ect. aufgehoben, kurz, zeige Consequenz. Darüber ist sie nun aber gleich außer sich, spricht ganze Tage lang kein Wort, schreibt dann an Andere, sie könne mir nichts recht machen. Ich stelle ihr Alles auf die liebevollste Weise vor, das habe ich bei Gott gethan, wenngleich, aus welchem Grunde, weiß ich nicht, Ihr glaubt, ich pflege ihre zarte Organisation nicht, ich behandle sie lieblos; nun, das muß ich mir gefallen lassen, im Umgange mit meinen Kindern kennt Ihr mich ja nicht. Ihr glaubt auch in meinem Künstlerleben denke ich nicht nach über meine Kinder, ihren Character ect. während wohl kein Tag vergeht, wo ich nicht sinne, wie ich ihr inneres Leben am glücklichsten gestalten möchte. Sonderbar |3| ist es übrigens – Du wirfst mir vor, ich kenne Julie nicht, und bestädtigest nachher Alles, was ich Dir geklagt, so sind wir ja ganz einig, und ich kenne sie eben so gut wie Du. Erinnere Dich, wie ich Dir schrieb, das Reisen tauge durchaus nicht für Julie, sie sey zu jung und zart für so unregelmäßige Lebensweise, damals riethest Du dennoch entschieden, daß ich sie mitnähme, jetzt sagst Du selbst, es habe ihr regelmäßiges Leben und sorgsame Pflege Noth gethan. Habe ich dadurch, daß ich sie trotz ihres Flehens jetzt zu Hause ließ, nicht bewiesen, daß ich das wohl einsah? wurde sie etwa von ihrer Schwester nicht gepflegt? was hat Diese sich aber müssen gefallen lassen dafür! wie war Julie mürrisch, that womöglich von Allem das Gegentheil, tadelte jeden Mittag das Essen, |4| welches alle Anderen mit Apetit aßen ect. sie sollte Milch trinken – sie erklärte entschieden, sie wolle keine Milch mehr, kurz, es ist unendlich schwer mit ihr. Daß sie krankhaft überspannt, habe ich gleich in den ersten Tagen ihres Seyn’s mit mir eingesehen, und habe das <> der Freundschaft und Schwärmerei mit ihren Münchner Freundinnen zugeschrieben; sie hatte nur Sinn für Diese, da saß sie Stunden lang und schrieb, zeigte aber außerdem durchaus kein Interresse. Daß sie bei mir eingesehen, sie könne nichts, das war wohl vorauszusehen; sie hatte Verschiedenes studiert, bei ihrem Talente fühlte ich mich natürlich ganz besonders angeregt, die Sachen recht genau mit ihr zu nehmen, ich fand ihre technischen Fortschritte überraschend, dagegen der Vortrag mangelhaft, <setzte ihr also> ließ sie also |5| eine Stelle 5, 6 mal hintereinander spielen – da war sie schon außer sich, „sie habe das so lange studiert, und nun sey es doch nicht recht“ ect. Verlangst Du etwa, ich solle sie aus Rücksicht für ihre zarte Organisation gehen lassen? spielen, wie sie will? das geht doch nicht, das wäre Schwäche von mir, sie würde Nichts lernen, immer nur mittelmäßig spielen.
Ich habe längst beschlossen, sie diesen Sommer mit mir zu nehmen, wahrscheinlich 5–6 Wochen in die Schweiz, aber auch dort sie, ohne Anstrengung, aber regelmäßig, zu beschäfftigen, damit ihr keine Zeit zum schwärmen bleibt, ich will deshalb auch Marie mitnehmen, die dann immer mit ihr ist, mit ihr liest ect. Freilich sagt Marie, daß Julie fast gar nicht mit ihr spricht, jeden Brief vor ihr auf das sorgfältigste verschließt, kurz, |6| gar kein Vertrauen zeigt, nun, <d> ich denke, das wird sich auch ändern – sie ist jetzt in der Schwärmperiode, spricht oft von heirathen ect. – dann spricht sie, wenn’s in ihre schwärmerische Stimmung eingreift.
Noch einmal schließlich auf Dich zurückzukommen, bitte ich Dich inständigst, keinen Augenblick zu glauben, es hätte irgend Jemand Juliens Veränderung auf Deine Behandlungsweise geschoben – das wahrhaftig nicht, nur ihrem Alter; Du hast sehr recht zu sagen „Julie kennt sich nicht“, sie weiß nicht, was sie mit sich anfangen soll, – so haben wir es Alle <g> angesehen. Ich habe nicht daran gedacht, daß Du es anders verstehen könntest, und habe ich Dir weh gethan, so bitte ich Dich inständigst mir nicht mehr zu zürnen. |7| Es ist so traurig, daß wir uns so wenig sehen, gewiß kenntest Du mich in Manchem besser und wärest auch mehr überzeugt von meiner Verehrung für Dich und meinem Vertrauen zu Dir. Daß man Julie, wie Du mir schreibst, so vergöttert hat in München, war schlimm, ich merkte auch in Hamburg, wo dasselbe bei allen meinen Freunden der Fall war, wie nachtheilig das auf sie wirkte, denn nur um so empfindlicher war ihr der Tadel ect. ihre Fehler sehen ja die Fremden nicht, sondern nur die liebenswürdigen Seiten, so sehe ich solche Vergötterung auch durchaus nicht als maaßgebend an, sie ist nur <ein[?]> der Tribut einer äußerlich angenehmen Persönlichkeit und des Talentes. Dies ist mir <jetzt> bei Julie ganz Nebensache – ihre Gesundheit, die Aeußere sowohl als die Innere, ist mir jetzt die Hauptsache.
|8| Du mußt Nachsicht haben mit diesen unzusammenhängenden Zeilen, Du hast keine Idee wie ich in Anspruch genommen bin – ich hatte nicht weniger denn sechs Besuche während dieses Briefes. Umsomehr <weiß[?]> mag er Dir ein Beweis sein, wie sehr es mir am Herzen liegt mit Dir im Einverständniß zu leben, und Deine üble Meinung von mir zu verwischen.
Verzeihe auch die Schrifft. Ich denke bis Ostern hier zu bleiben, bin von Allen höchst freundlich aufgenommen, und habe am 20ten mein erstes Concert. Mme Érard thut Alles, was sie kann an mir; das wäre Alles gut, hätte ich nur nicht die unendlichen Sorgen immer um die Kinder, jetzt nun gar die größte um Julie! –
Leb wohl, meine liebe Elise.
Sey nicht mehr bös Deiner
alten getreuen Clara.
1 000 Grüße Allen.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Paris
  Empfänger: Pacher, Elise von, geb. List (1162)
  Empfangsort: München
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 8
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit der Familie List und anderen Münchner Korrespondenten / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Ekaterina Smyka / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-019-3
422-425

  Standort/Quelle:*) Slg. Cornides 99a/b/c/d
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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