23.01.2024

Briefe



Rückwärts
	
ID: 26885
Geschrieben am: Sonntag 08.05.1887
 

Frankf. d. 8 Mai 1887.
Meine theuere Emilie,
wie lange trug ich Deine letzten Zeilen in meiner Schreibmappe mit herum, immer mit dem Wunsche sie zu beantworten, u. immer kam ich nicht dazu. Du weißt, ich war inzwischen in England, wo es mir ganz außerordentlich erging, ich habe eine so herzliche Aufnahme, |2| wie nur jemals ┌gefunden┐, u. wurde überhäuft mit Blumen u. Ehren. Sehr erfrischt kam ich zurück, und gleich, kaum 8 Tage, hier kam ein furchtbarer Schlag über uns. Elise verlor ihr einziges Töchterchen 5 Jahr alt an Dyphteritis und zwar in Zürich, wohin sie mit allen Kindern gereist war, um ihres Mannes Mutter zu überraschen. Das Kind war ein reizend frisches, |3| liebliches, sehr begabtes Kind, und meine Kinder sind tief gebeugt! das Wiedersehen, der Eintritt hier in’s Haus wieder, ohne das Kind war, entsetzlich. Zu diesem Schmerze kommt nun jetzt die Sorge um Ferdinand, der so krank war den ganzen Winter, daß er jetzt f. ein Jahr von Berlin fort muß; sein Haushalt muß aufgelöst werden, Schulden (Viele) bezahlt, u. ich muß nun alle Sorge auf mich nehmen, die Knaben (d. 3 Aeltesten) |4| in eine tüchtige Männer-Aufsicht bringen ect. ect. Ich brauche Dir nicht zu sagen, was daran u. darum hängt, diese Schreibereien, der Aerger mit Ferd. der fortwährend opponirt, weil er so entsetzlich beschränkt ist, und die Kinder immer nur als vor allem da für ihn betrachtet. Ich erzähle Dir◊1 von alledem, wills Gott, bald mündlich, Anfang Aug. kommen wir doch◊1 wohl wieder durch München.
Ich habe Dir nun gleich von uns erzählt und noch nicht ’mal gedankt für Deinen Brief. |5| Dieser enthielt bei manchem Unerfreulichen doch das sehr Gute, daß es Dir den Winter so wohl ging. Wie mag es nun wohl mit der Wärterin Elisens gegangen sein? Hast Du wieder Jemanden gefunden?
Zu meinem Schrecken sehe ich jetzt, daß ich Dir betreffs der jungen Sängerin nicht geantwortet hatte. Das |6| Beste ist immer, sie kommt, singt, u. – siegt! Ich weiß nichts anderes, als daß sie sich an den Kapellmeister Dessoff wendet. Von der Theater-Direction weiß ich nicht viel, kenne den Intendanten gar nicht – übrigens soll jetzt Alles nur durch Agenten gehen, die so ein armes erst beginnendes Wesen ganz aussaugen.
|7| Eugenie hat uns den ganzen Winter viel Sorge gemacht, wir müssen vom Sommer Gutes hoffen. Sie geht mit uns, zum Luftgebrauch fürerst, nach Franzensbad – was dann, wissen wir noch nicht! Marie ist sehr wohl, und das ist ein großes Glück! –
Unser Leben dreht sich jetzt ganz ausschließlich |8| um die armen Kinder (Ihr wißt ja, was es ist solch ein Kind zu verlieren) und unsere Schüler. Die Letzteren sind beinah ein Trost für uns, sie entziehen uns unserer Trauer, u. besonders jetzt, wo die Jahresprüfungen im Gange sind.
Nun leb wohl, liebe theuere Emilie, grüße Hedi herzlich, auch die liebe arme Kranke, u. schreibe bald wieder Deiner alten
Clara.
Die Kinder grüßen herzlich.
Verzeihe die verschiedenen Bögelchen – ich wollte Dir erst nur einen Gruß schicken, u. es wurde immer mehr.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Frankfurt am Main
  Empfänger: List, Emilie (962)
  Empfangsort: München
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 8
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit der Familie List und anderen Münchner Korrespondenten / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Ekaterina Smyka / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-019-3
731-735

  Standort/Quelle:*) Slg. Cornides 239
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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