23.01.2024

Briefe



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ID: 26890
Geschrieben am: Sonntag 27.11.1887
 

Frankf. a/m. 27. Nov.
Liebste Emilie!
Ich will Dir doch für Deinen lieben Brief danken, kann ich Dir auch über Eure Schutzbefohlene noch nichts mittheilen, da ich sie noch nicht gehört. Die Oper ist hier jetzt so schlecht, daß ich mich furchtbar schwer entschließe, hineinzugehen.
Daß Ihr wieder solche Sorge mit Elise gehabt, thut mir sehr leid! Bei uns steht es auch (mit Ferdinand) noch nicht besser, und ich fürchte, der Winter wird auch keine |2| Besserung bringen.
Von Herzogenbergs hatte ich auch schlechte Nachrichten, er wollte so gern nach Berlin zurück, sie hatten aber nicht den Muth, diese große Reise zu unternehmen; dazu wäre sie ihnen auf 800 Mark zu stehen gekommen. Du weißt wohl, daß sie sich ein Logis N. 30, Heßstraße genommen haben, um wenigstens in etwas traulicheren Räumen u. mit eigener Wirthschaft zu leben. Sie haben an Fiedlers einen großen Anhalt; nichtsdestoweniger würde sich aber Frau v. Herzogenberg, die, wie Du wissen wirst, selbst sechs Wochen zu Bett gelegen hat, sehr freuen, wenn Du sie einmal besuchen wolltest. –
Im Leide ist einem ja das kleinste Zeichen von Theilnahme schon viel werth.
|3| Ich war neulich in Basel, um dort zu spielen; es waren schöne, erfrischende Tage für mich. Leider habe ich aber jetzt recht viel mit Armschmerzen zu thun, die mich natürlich immer gleich ängstigen.
Mit der Lind hast Du Recht, daß mich ihr Tod sehr bestürzt hat. Ich hatte sie das letzte mal in London nicht gesehen, weil sie ihrer Gesundheit halber in Cannes war. Sie hat furchtbar gelitten, und zwar an Unterleibskrebs – Das machte mich doppelt traurig, nun und Sänger giebt es fast auch keine mehr! Stockhausen, der Einzige, singt auch fast gar nicht mehr, und sonst wüßte ich Niemand, den zu hören, mir wahre Freude machte. Ich bedaure nur immer unsere |4| Jugend, die solche Sänger, wie wir sie gehört, nicht hören kann, denn die wirkliche schöne Gesangskunst ist unserer Zeit gänzlich entschwunden. Für Wagner braucht es ja nur Stimme, zu können brauchen die Sänger nichts, als schreien können. Nun, Du weißt das ja selbst grade so gut!
Ob ich nach England gehe, ist noch ganz unentschieden, hängt von meinem Befinden nach Weihnachten ab. Gehe ich nicht dorthin, so habe ich Ende Januar eine Reise nach Berlin vor, um dort mit Joachim zu conzertiren.
Dies bringe ich doch vielleicht fertig, wo hingegen London anstrengender für mich wäre.
Nun lebe wohl, liebe Beste, und laß bald wieder von Dir hören
Deine
alte
Clara.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Frankfurt am Main
  Empfänger: List, Emilie (962)
  Empfangsort: München
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 8
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit der Familie List und anderen Münchner Korrespondenten / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Ekaterina Smyka / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-019-3
742ff.

  Standort/Quelle:*) Slg. Cornides 274
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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