Frankfurt a/m. 4/6.
Liebste Emilie!
Hab Dank für Deine lieben Briefe und besonders, daß Du mir so ausführlich über Alles schreibst. Wie traurig aber ist das mit Herzogenbergs! Wie soll das werden? Ich kann es mir gar nicht denken, welche Prüfung für die armen Menschen. Hast Du gar nicht erfahren, was dem Levi eigentlich fehlt? Da wird man ja gar nicht klug daraus. Mit dem Tisch überlegen wir – ich finde Deinen Vorschlag zu warten, bis wir hin kommen, den besten, Marie aber, fürchtet daß Til ihn nicht mehr fertig bringt bis Oktober.
Gestern habe ich die ganze Stockhausen’sche Familie und |2| einige Freunde bei uns gehabt; wir haben gar nicht musicirt, waren aber bis halb zwölf recht heiter beisammen. Ich hatte den Söhnen von Stockh. noch den Borwick u. Oberstadt hinzugebeten, und wurden sie schnell bekannt mit einander. Vor Tisch war die Hälfte der Gesellschaft (die jüngeren Leute) im Garten u. amüsirten sich da. Frau Stockh. war sichtbar erfreut, und hat mir sehr gedankt – ich hatte ihnen ja eine Aufmerksamkeit erweisen wollen mit dieser quasi kleinen Nachfeier u. meinen Zweck erreicht, was mir lieb war.
Von uns kann ich Dir sonst Nichts erzählen. Du kennst unser Leben von morgens bis abends. Leider <ha> bin ich aber von solch einem Rheumatismus befallen, wie ich mich kaum erinnere, ihn je gehabt zu haben, u. dazu kommt noch, daß ich gestern bei einem Fall mich heftig an die Brust gestoßen habe u. heute arge Schmerzen leide. Man wird nicht allein kindisch im Alter, man fällt auch wie die Kinder.
|3| Gestern Mittag waren wir bei Sommerhoffs, wo es wieder neue Trauer gab. Du weißt, Bertuchs wurden hier erwartet, um nach einiger Ruhe von hier aus in ein Bad zu gehen; sie machten die Reise in lauter kurzen Stationen, was man ihnen sehr widerrathen hatte, weil es ja für den Kranken viel anstrengender war – das fortwährende Ein- u. Aussteigen mit größter Mühe verbunden, auch reiste Frau Bertuch ohne Diener. In Basel angekommen, wollen sie in die Droschke steigen, er verliert das Gleichgewicht, da er mit den Krücken noch nicht umzugehen weiß, u. stürzt wieder auf dasselbe Bein, schreit fürchterlich u. wird zu der Familie getragen, die sie erwartete. Der Arzt fand Bertuch zu angegriffen, um ihn gleich untersuchen zu können, weil er ihn dazu chloroformiren muß und muß einige Tage damit warten; er fürchtet, daß er einen neuen Bruch habe, u. dann müsse er wieder für vier bis fünf Wochen in der Klinik in Basel liegen. |4| Die arme, alte Mutter, die sie hier erwartete, reist nun heute sofort nach Basel. Was nun werden wird hören wir erst in einigen Tagen.
Nun zum Schluß komme ich noch mit einer Bitte: Lies inliegenden Brief u. sage mir, ob vielleicht Dein Schwager dem jungen Mann zu etwas schriftstellerischer Thätigkeit verhelfen könnte. Er ist ein vortrefflicher Mensch und hätte er er [sic] nicht die carrière des Juristen erwählt, würde er seinen Eltern gewiß keine Sorge machen; die Eltern gehören zu den respectabelsten Leuten, die ich kenne, der Mann ist Lehrer in einer Schule, hat eine kleine Stelle, die Frau giebt Clavierunterricht u. trotzdem haben sie alle ihre Kinder vortrefflich erzogen. Da möchte man so gerne hülfreich sein, ich aber habe gar keine Beziehungen zu Literaten u. dachte Herr Oldenburg als Buchhändler könnte da vielleicht etwas rathen oder thun.
Nun, leb wohl, liebe Mila, nimm unser Aller herzlichste Grüße – wir denken immer an Dich u. wenn wir zu Tisch gehen, liegt mir noch manchmal auf der Zunge zu sagen: „ruft Fräulein List!“ Nächsten Sonntag gehen unsere Prüfungsconzerte (sechs) an. Der Himmel gebe nur den armen Schülern etwas kühleres Wetter. Grüße auch die Deinigen Alle u. sei in alter u. neuer Liebe umarmt von
Deiner
Clara.