Herrn und Madame Schumann in Leipzig.
Wien am 12ten 9ber 840.
Meine theueren Freunde! In Plurali zum erstem Male Ihnen schreibend, hoffe ich, daß Sie sich göttlich wohl befinden u. noch an den Honig schlürfen, dem Ihre jetzigen Monde geweiht sind. Wie gerne ich persönlich Ihnen meinen freudigen Antheil bewiesen, wird der Uiberbringer Bar. Löwenskiold Ihnen auf das Wärmste bestätigen u. meine Bitte beyfügen, daß Sie Ihrer auswärtigen Freunde sich zuweilen erinnern mögen. – Bey dieser Gelegenheit will ich Ihnen nun einige Notitzen melden, die Sie lieber Robert aus einem Privatbriefe entlehnt Ihrem Blatte inseriren können:
Am 8ten u. 12ten November fand wieder das alljährig wiederkehrende Musikfest in der kaiserl. Reitschule <in Wien> Statt. Dasselbe wurde v. 1126 Musickern ausgeführt, die Anzahl der einzelnen Besetzung ist im selben Verhältniße, wie in den früheren Jahren. Solosänger: Mad. van Hasselt-Barth, Herr Staudigl u. Lutz. Director Hh Schmiedl, Chordirector: Prof. Fischhof.
Timotheus, od. die Gewalt der Musick od. das Alexandersfest3 war dießmal höchst glücklich gewählt, da dieses prachtvolle Werk seit dem Wienercongreß hier nicht gehört wurde, u. es wahrlich nöthig ist, zuweilen durch Händel’s Titanengröße dem verweichlichten Geschmacke Eines zu versetzen, daß er seiner Winzigkeit u. Ziererey sich bewußt werde u. sich nicht mit breiter Arrogance Alleinherrschend dünke. So eine Musick geht wieder durch Mark u. Bein, und in dieser herrlichen Aufführung konnte es nicht fehlen, daß Alles zur höchsten Begeisterung hingerissen wurde. Es blieb nichts zu wünschen übrig, denn Solosänger, Chor u. Orchester leisteten Staunenswerthes, daß ich nicht umhin kann, die Masse der Exekutirenden als bedeutend vorgeschritten gegen die früheren Aufführungen, die doch wahrhaft großartig waren, anzuerkennen. – Uiber das Werk Ihnen zu schreiben, hieße Eulen nach Athen tragen, dieses hat die Popularität eines Jahrhundertes (es wurde 1736 componirt) genügend als Bürgschaft seiner Vortrefflichkeit. Schade daß wir nicht hier Gelegenheit haben, wie in England, die Hændel’schen Oratorien mit Orgel, die natürlich dazu eigens arrangirt seyn muß, zu hören, um endlich ein Finalurtheil, welches erschöpfend wäre, über die Zweckmässigkeit der Bearbeitung derselben fällen zu können. |2| Jedenfalls sprechen große Namen für Leztere, <wobei> worunter <nebst> Bereicherung der Instrumentation u. Sichtung v. ungenießbarem Veralteten verstanden wird. Darüber nachdenkend <bietet> drängt sich mir plözlich im Gegensatze folgende Idee auf: Seit lange klagt man über die Uiberladung oder nennen wir’s lieber Uiberfülle der Instrumentation deutscher Opern <, ja> <sogar <S> der Sinfonien>. Wäre es denn nicht eben so zweckmässig, in unserer Zeit der Arrangemens, einige dieser Werke zu desinstrumentiren (sit venia verbo, wie man sagt deshabiller) d. h. etwas von dem Vollblute der aufgehäuften Instrument u. harmonischen Beysätze abzuzapfen, zum Nutz u. Frommen, zu besserer Klar- u. Einheit der Sache, zu größerer Schonung der Kehlen? Ja könnte man nicht die Monotonie im Rhythmus (durch zu häufige Phrasenpaarung), woran Manche laboriren, dadurch abbestellen indem man den einen Siamesen wegschnitte, der wie ein Alp auf die oft gesunde Idee drückt? Manches habe ich in dieser Hinsicht an Sinfonien ja selbst an Liedern zu meiner Belehrung versucht, u. zwar mit überraschendem Erfolge. – <Bey der>Die Repetition (in Sinfonien, Quartetten, ja selbst Variationen) ist ja auch auf die Gesetze des Rhythmus gegründet, in dieser Beziehung genirt man sich aber jezt nicht mehr, indem man das Repititionszeichen [sic] ad libitum ausläßt, unbeschadet dem Effekte, vorzüglich in ältern Compositionen als in Haydn’schen u. Mozart’schen Trios, ja man hat in der neuesten Ausgabe des wundervollen Trios v. Beethoven in B dur op. 97 das Scherzo zu wiederhohlen dem Willen der Spieler überlassen. Scheint ja selbst die mehr ins Leben tretende Concertinoform <die zu f> aus diesem Grunde vorzüglich beliebt zu werden. Wie viel gute Werke werden nach 20 Jahren in den Strom der Vergeßenheit versinken, denen ein solchartiges Arrangement u. Wegschneiden des Schwülstigen die Lebenskraft wenigstens um das Doppelte erhöh<en>t. <würde.> Am zweckmässigsten könnte ein <b> vorurtheilsfreyer Autor diese Operation vornehmen an eigenen Werken, die er objectiv zu erschauen im Stande ist, darauf deutet schon das Horazische Nonum prematur in annum hin.
Im Voraus verwahre ich mich gegen jede Mißdeutung meiner harmlos ausgesprochenen Ansicht, mögen Berufenere über das Weitere nachdenken u. wirken.
Von dieser Episode kehre ich wieder zum Musikfeste zurück, dabei mit Anerkennung |3| des Conservatoriums gedenkend, welches in wahrer Uneigennützigkeit durch solche Aufführungen den Musikgeschmack veredeln hilft u. spreche zulezt von der herrlichen Auffaßung der Solosänger, vorzüglich der Frau van Barth-Hasselt, die, jedes dramatische Element als störend entfernte u. ihren Part mit einer Pietät, Begeisterung u. der wahren Virtuosität sang, wie solche selten sich in diesem schönen Vereine vorfinden.
Der allerhöchste Hof so wie ein den Raum des colossalen Saales bis im kleinsten Winkel ausfüllendes Publikum wohnten den Aufführungen bey.
Mit nicht ungünstigem Succes wurde Alfred der Große Oper v. Reuling, Hoftheatercapellmeister, gegeben. Der erste Act hat viel Leben, ein Trinkchor ist sogar v. ausgezeichnetem Effecte. Dieses so wie die großentheils vortreffliche Instrumentirung zeugen von nicht unbedeutendem Talente des Componisten, welches <sich> erst später zur Selbstständigkeit heranreifen u. alle jene fremden Elemente abweisen wird, die es absichtlich od. <will> unwillkührlich in diese Oper hineinmischte. Darunter leidet die Originalität. Man wende nicht dagegen ein die zum Ekel gehörte Phrase: jezt wäre es nimmer möglich, in der Oper originell zu seyn. Ohne mich pro oder contra hierüber auszulassen, fordere ich, daß ein deutscher Operncomponist wenigstens jene musickalische Ehrlichkeit besitze, die trotz mangelnder Originalität (nach strengerm critischen Ausspruche) dennoch vor offenem Plagiate <dieselbe> <große> Scheu tragen soll. <Ist> mahnt ja doch das größte Talent in seinen Erstlingen <von den> an die Einflüße<n> seiner Schule u. Vorbilder u. erst später <bildet> bahnt es sich <die> seinen Eigenthümlich<keit.> en Weg. – Eine Romanze, die Alfred als Minstrel verkleidet, im feindlichen Lager zu singen hat, ist, <so> trotz dem die Wiederhohlung begehrt wurde, in ihrem Style so <vulgair> gewöhnlich, daß sie an den <gewöhnlich> hier grassirenden Liedertypus erinnert. Bey dieser Gelegenheit will ich Ihnen ein Schema <davon geben> v. selben geben, nach welchem viele Wiener Lieder gemodelt werden ja welches ein Herr Geissler, der ein Lied öffentlich zu improvisiren sich anbot, zu meinem Ergötzen als Muster anwandte; daß er hiebey nicht reussirt, ist eine Inconsequenz, gefallen doch Lieder, die nicht besser als sein Machwerk sind: Also zum Schema:
[Notenbeispiel]
Cosi fan tutte v. Mozart hat der köstlichsten Perlen Viele, welche wenn auch nicht <das> vom Gesamtpublikum doch v. der Elite der Musiker mit Entzücken gewürdigt werden. Hier ist trotz dem comischen Sujet mehr Adel der Gesinnung, als in vielen tragischen Opern, nirgends trotz der 60 Jahre des Cursirens eine Plattitude, kurz – ein Mozart’sches Werk. Nächstens erwartet man eine neue Oper v. dem talentvollen Hoven (Vesque v. Püttlingen) welche Johanna d’Arc heißt, worüber später ein Näheres. v. Ihrem 34. –
|4| Sprechen Sie doch in einer Anmerkung die Bestättigung meiner Ansicht über das hiesige Lied, welches namentlich v. Hackel, Proch u. Preyer zu jener Gemeinheit herabgewürdigt wurde. Es wird wurmen aber heilen. Sagen Sie doch Hh Kistner, er möchte mir Ihre wunderschönen 4 neuen Hefte zusenden, es sehnt sich darnach Ihr Sie Beyde umarmender (Sie sind doch nicht eifersüchtig) wahrer Freund Fischhof Wollen Sie von der Reulingschen Oper angefangen, als v. einem andern Corresp. getrennt drucken, so ist es mir gleichgültig, am Beßten käme es heraus, als wenn Löwenskiold Ihnen mündlich dieses Referat gemacht hätte.