Verehrter Sir und Meister!
Nachdem Brahms und ich die An-und Aufregung einer 4 stündigen Berlioz-Probe durch Suchen und Finden einer Wohnung für ersteren beschwichtigt hatten, konnte ich nun endlich die genauere Bezeichnung von Fingersatz und Bogenstrichen in der Violin-Stimme Ihrer Fantasie vornehmen. Sie folgt nun mit der Partitur derselben nach Düsseldorf. Es scheint mir, als würden Sie hie und da noch einige Vortragszeichen nachtragen, z.B. ein decresc: vor dem Eintritt des Orchesters nach der Kadenz u.s.w. Fingersetzung und Bogenstriche sind so, daß ich glaube, geübte Violinspieler werden sie bei einigem guten Willen und etwas Fleiß zugänglich finden. Vielleicht kann Becker noch einiges daran thun; weniger an’s öffentliche Spiel gewohnte Geiger sind oft besser und praktischer bei der Revision der Zeichen, als solche, die häufig vor’s Publikum treten und deßwegen weniger aengstlich urtheilen. Das Zeichen V für Akcente habe ich immer mit > vertauscht, weil das erstere leicht mit dem Gegensatz von π (Herunterstrich) verwechselt wer-den könnte. Ich will nun sobald als möglich auch an das Concert gehen und es Ihnen dann zuschicken. An Componiren habe ich noch wenig denken können-oder vielmehr leider nur denken können. Zu Berlioz gesellte sich Brahms Ankunft, und <> auch gesellschaftliche Verhältnisse, die bis jetzt die Arbeit zurück drängten. Das soll aber nicht so bleiben; ich fühle, daß ich den Winter recht viel schreiben werde, und die Güter-Züge nach Duesseldorf sollen dann von mir verdienen. Ich muß eilen, soll das Paquet noch fort; entschuldigen Sie daher die rasche Schrift.
Mit herzlicher Verehrung und Freundschaft
Ihr
Joseph Joachim
Die schönsten Grüße Ihrer lieben Frau, und an Marie, Elise, Julie, Ludwig und Ferdinand
Hannover, am 5ten Nbr 1853.
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