23.01.2024

Briefe



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ID: 4294
Geschrieben am: Sonntag 04.04.1841
 

Hochverehrtester Herr Schumann,
Vielleicht ist es Ihnen nicht uninteressant, einmal einige musikalische Notizen aus Ungarn zu vernehmen, bei welcher Gelegenheit Sie sich auch meiner Wenigkeit wieder erinnern mögen. Ich habe, da ich mich größtentheils auf dem Lande aufhalte, nicht oft Gelegenheit, fremde musikalische Individualitäten kennen zu lernen und größern Aufführungen bei zu wohnen; den Stoff zu musikalischen Referaten können mir daher nur Ausflüge, die ich aus meiner Einsamkeit mache, liefern. Zu den folgenden Mittheilungen veranlaßte mich mein jüngster Aufenthalt in Pesth, wo ich ziemlich den ganzen März zubrachte. Um die Uebersicht der Details zu erleichtern, werde ich Rubriken machen und beginne mit dem I. Deutschen Theater. Dieses Institut, zu dessen Eröffnung Beethoven vor 27 Jahren seine Ouvertüre zu König Stephan schrieb, hat seit dieser Zeit seine Glanz- u. Nebelperioden gehabt; jetzt zählt es einzelne brave Mitglieder – ein künstlerisches Ensemble läßt es freilich vermissen; billiger Weise kann man dieses von einer Provinzialbühne wohl auch nicht verlangen u. wird es da selten finden. In die musikalische Leitung theilen sich 2 Capellmeister, die Herren Grill u. Schindelmeisser, beide sorgfältige Dirigenten u. tüchtige Musiker, wovon ihre in Pesth u anderwärts beifällig aufgenommenen Compositionen zeugen; ersterer schrieb Streich- u. Vocalquartetts nebst andern Musikstücken; letzterer eine Oper (Szápáry), auch Kirchen- u. Kammercompositionen. Das Repertoir füllen meistens <ip> imponirende französische Opern u. italienische Gesangwerke. Ich sah die Pesth in Florenz u. lernte in dieser Oper in Fräulein Vial, die seit dem Abgange der Carl erste Sängerin ist, eine recht gute Sängerin kennen, die viel dramatisches Leben zeigt. Der früher bei dieser Bühne engagirte Tenorist Stoll gastirte u gefiel sehr, da er im Besitze einer schönen Stimme ist, u., was Vortrag betrifft, auch zu singen weiß. Im Ganzen ging die Aufführung ziemlich gerundet. Eben so gelungen konnte man die Darstellung von Donizettis Liebestrank nennen, namentlich was das lebendige Spiel, das darin gezeigt wurde, anbelangt. Die Nachtwandlerin ging etwas weniger hinreißend. Schenks Dorfbarbier mit seinen unwiderstehlichen Frescowitzen füllte von Neuem das Haus; die Musik zu dieser Farce enthält aber doch auch so viel hervortretende komische u. charakteristische Effecte, wie wohl wenige neuere ähnliche Singspiele. Zu Stolls Benefice wurde Lortzings Czaar u. Zimmermann vorbereitet. – II. Das ungarische oder Natio<l>naltheater, in welchem alle Darstellungen in ungarischer Sprache gegeben werden. Ich hörte daselbst die Opern: Montechi u Capuleti, Barbier von Sevilla u. Maria Bátori, letztere von dem Capellmeister dieses Theaters, Herrn Erkel. In ersterer Oper gastirte als Romeo eine Sängerin Dem. Scott aus Brünn; sie zeigte viel Leben, <u.> Feuer u. Routine, ihre Töne waren aber in der Höhe nicht so wirksam als in der Tiefe; anzuerkennen war ihr Fleiß, den sie auf das in wenigen Tagen bewerkstelligte Einstudiren ihrer Rolle in ungarischer Sprache verwendet hatte, zumal |2| da dieses mechanisch geschehen mußte, indem sie diese Sprache, deren Aussprache nicht leicht ist, nicht erlernt hat. Dem. Eder gab die Julie recht brav; im Ganzen war<en> die Aufführung eine mittelmäßige. Im Barbier von Sevilla that sich Herr Szerdalhelyi als Figaro sehr hervor; er dürfte in dieser Parthie den besten Darstellern zur Seite gestellt werden; im Spiel gab sich auch das übrige Personal viel Mühe; eine Dem. Suppek betrat als Rosine zum Erstenmale die Bühne u. gab als Anfängerin ihre Rolle leidlich. In der Oper Maria Bátori trat eine Dem. Lángh auf, die auch nur erst etwa zum vierten Male auf den Bretern ist; sie hat eine hübsche Stimme, hübsches Aeußere<s> u. kein ungeschicktes Spiel, weshalb man sie engagirte, da seit dem Abgange der Schodel eine Lücke im Ensemble war, deren Ausfüllung aber eine schon ausgezeichnete Sängerin erheischt. Die Oper selbst ist eine tüchtige Arbeit mit sehr originellen Details; auch klingt nichts Italienisches oder Französisches an; dagegen herrscht darin sehr das ungarische Element, wie es in der Volksmusik lebt, vor, was dem Sujet sehr angemessen ist. Donizettis Robert Devereux, welche Oper zum Erstenmale gegeben wurde, gefiel wenig; die Musik ist kaum mittelmäßig, d. h. es sind ganz wenig hübsche Melodien darinnen. – III. Der Musikverein besteht aus Musikern u. Dilettanten; Präses davon ist der die Kunst sehr liebende u selbst ausübende Graf Festetic<>s; dieses Institut veranstaltet jährl. 8 Conzerte, in welchen Symphonien, Ouvertüren, Chöre, u. Solis zur Darstellung kommen. In die Direction der Aufführungen theilen sich der Vereinsmusikdirector Urbany u. die Capellmeister von den Theatern. In dem Programm zu 2 Conzerten kommen vor: Erster Satz von der Eroica, Ouvertüre zu Coriolan u. Lindpaintners Festouvertüre. Haydns Sturmchor, Händels Halleluja, Schlußchor aus Mozarts Davide penitente, des jüngern Mozarts Cantate „Der erste Frühlingstag“, Göthe’s Walpurgisnacht, componirt von Capellmeister Grill für Chor u. Orchester, italienische Gesangmusik u. Pianofortespiel. Bei ungewöhnlich großen Kunstdarstellungen unterstützt die Schwesterstadt Ofen; so will man zu Ostern den Paulus durch 500 Ausführende geben. – IV. Kirchenmusik. Diese beschränkt sich für gewöhnlich auf die Aufführung in der Pfarrkirche. Dirigent ist der Regens chori Herr Bräuer, welcher, da die zu diesem Zwecke besoldeten Musiker zu einer angemessenen Vorführung von größeren Kirchenwerken nicht ausreichen, theils durch Dilettanten unterstützt wird, theils der guten Sache aus eigenen Mitteln durch Honorirung von Musikern Opfer bringt. Ich war verhindert, der Aufführung einer Messe vom Capellmeister Grill beizuwohnen. Für Ostern war <Bach> Beethovens D Dur Messe bestimmt. – V. Die musikalischen Reunionen im Nationalcasino. Diese finden sonntägig in der Advents- u. Fastenzeit statt, wobei Streichquartette, Quintette, etc. ClavierDuos u. |3| Trios, Instrumental- u. Gesangsolos u. ähnl. Musiken vorgeführt werden. Bei Streichmusik sind am meisten beschäftigt der Orchesterdirector am ungarischen Theater H. Khon, ein ausgezeichneter Violinspieler, der auch einige recht gute u. charaktervolle Compositionen für sein Instrument geschrieben hat, der Orchesterdirector am deutschen Theater H. Kirchlehner, H. Pfeiffer, der die Viola recht zart zu behandeln versteht, u. die braven Celloisten H. Schlesinger u. H. Huber. Ich hörte daselbst <ein> Quintette von Mozart, <Sph> Spohr u. Onslow, ein Quartett von Haydn, ein Lied, gesungen von Stoll, einen braven Dilettanten auf dem Pianoforte, u. ein Solostück von dem Violinspieler Tingry, Schüler des Pariser Conservatoriums. VI. Virtuosenconzerte. Das eine gab der eben genannte H. Tingry. Er kam von Wien, wo er öffentlich aufgetreten war, u. erfreute sich vieler Theilnahme, die auch sein brillantes, reines u. sicheres Spiel verdiente, umso mehr da der Conzertgeber noch ein junger Mann ist. Er spielte eigene Compositionen, welche indessen noch nichts Außergewöhnliches enthielten, das Tremolo, u. 2 Sätze aus einem Claviertrio von Pixis, wobei ihn Frau von Bräuer u. H. Huber unterstützten. Die dominirende Pianoforteparthie ward von dieser Dame recht schön gespielt. Außer diesen Nummern kam noch die Fidelio-Ouvertüre u. ein italienischer Gesang, vom Opern-Sänger H. Conti brav gesungen, zur Darstellung. Das 2te Virtuosenconzert gab H. Eduard Pirkhert, dem als Pianofortespieler ein guter Ruf von Wien voranging. Er überwand die Schwierigkeiten mit Leichtigkeit u. durfte <> sich von andern bedeutenden Pianisten durch sein zartes u. inniges Spiel unterscheiden. Er spielte sehr beifällig Compositionen von Thalberg, Lißt u. von sich ein Andante u. Etude, in deren Composition er geläuterten Geschmack u. glückliche Erfindung zeigte. Ein Paar Gesangstücke, vorgetragen von H. Nusch Theatersänger u. seiner Gattin, wurden gut u. beifällig ausgeführt. Ein ungefähr 14jähriges Mädchen Adelheit Gobby veranstaltete auch ein Conzert, u. spielte eine Kalkbrennersche Fantasie auf dem Pianoforte, so wie Beriotsche Variationen auf der Violine verhältnißmäßig recht gut. Bei dieser Gelegenheit kam Lindpaintners Vampir-Ouvertüre, eine Gesangsscene (der Renegat) von Schindelmeisser, vorgetr. vom Theatersänger Hirsch, u. Flötenvariationen, comp. u. <gesp> geblasen von H. Unger noch zur Aufführung. Bevorstehende Conzerte sind das des Orchesterdirectors am deutschen Theater H. Arnsteins,/ des Mandolinisten Vimercati u. eines für einen milden Zweck, in welchem hohe Dilettanten u. -innen mitwirken, so wird der Graf Festetics eine von ihm selbst componirte Fantasie auf der Physharmonika, eine Frau v. Derra-Zettiry Webers F moll Conzert u. den Schubert-Lisztschen Erlkönig vorgetragen. Ueberhaupt ists eine erfreuliche Erscheinung, daß Pesther Damen öfters öffentlich auftreten; es wird dadurch ein edler Wetteifer u. Liebe für Kunst erregt. So hörte ich auch im Casino auch seine Dame, Ludmilla <Maj> Mayerfi recht virtuos spielen. Schöne musikalische Genüsse hatte ich auch beim H. Grafen Brunswick, wo man Streichquartetten, Quintetten, Duos u. Claviertrios sehr künstlerisch vortrug. Der Graf, der mit Beethoven innig befreundet war (die F moll Sonate u. Anderes ist ihm dedicirt), spielt sehr gut Cello, wie seine Frau Gemahlin eine vorzügl. Pianistin ist, die mit viel Glanz, Kraft u. Seele spielt. Ihre Auffassung von verschiedenen Componisten, Beethoven, Hummel, Chopin pp ist selten. – Nun muß ich aber doch aufhören zu schwatzen, ich werde Ihnen schon viel zu breit in meiner Erzählung vorgekommen seyn. Wenn Sie davon indessen etwas für Ihr Blatt (freil. besser stilisirt) benutzen können, soll michs freuen. Ich schicke Ihnen hier noch eine Composition von mir mit; wenn Sie dasselbe als Beilage zu Ihrer Zeitung mit passend fänden, wäre mirs recht angenehm. Zum Schluß muß ich noch meine Freude über Ihr Rheinlied ausdrücken, dessen Composition mir vor andern außerordentlich gefiel, indem es so einfach, neu, edel u schlagend ist. Auch gefällt es mir sehr, daß Sie den Kern des Liedes, die beiden ersten Strophen, als Refrain benutzt haben. Ich habe Ihre Melodie sogar als Grundlage zu einer Orchesterouvertüre benutzt. – Mit ausgezeichneter
Hochachtung Ihr ergebenster
Robert Volkmann
Musikmeister bei Ihrer Excell. Gräfin Stainlein-Saalenstein.
Szemered, d. 4 April, 1841.
|4| Sr. Wohlgeboren
H. Doctor Robert Schumann,
Componist
in Leipzig
frei zur sächs. Grenze.

  Absender: Volkmann, Robert (1641)
  Absendeort: Szemered
  Empfänger: Schumann, Robert (1455)
  Empfangsort: Leipzig
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 27
Robert und Clara Schumann im Briefwechsel mit Korrespondenten in Österreich, Ungarn und Böhmen / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Klaus Martin Kopitz, Michael Heinemann, Anselm Eber, Jelena Josic, Carlos Lozano Fernandez und Thomas Synofzik / Verlag Christoph Dohr Köln / Erschienen: 2023
ISBN: 978-3-86846-052-0
1546-1554

  Standort/Quelle:*) Corr, Bd. 11, Nr. 1885
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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