Dresden den 22sten Januar 1846.
Lieber Herr Reinecke,
Gestern fehlte es mir an Zeit, der Sendung einen Brief beizulegen – daher heute einige Zeilen. Mit vielem Interesse hab' ich Ihre Compositionen gelesen, mich an Vielem darin erfreut – an der bedeutenden Gewandtheit einerseits, dann an der edlen Richtung, die sich überhaupt darin ausspricht. Daß Sie noch nicht ganz Eigenes geben können, daß Erinnerungen an Vorbilder oft durchklingen, möge Sie selbst nicht irre machen. In so jungen Jahren, wie Sie stehen, ist alles Schaffen mehr oder weniger nur Reproduktion; so muß das Erz viele Wäschen durchgehen, ehe es gediegenes Metall wird. Zur Ausbildung eigenen melodischen Sinnes bleibt immer das Beste, viel für Gesang, für selbstständigen Chor zu schreiben, überhaupt so viel wie möglich innerlich zu erfinden und zu bilden. Sehen <> Sie mit Freude Ihrer Zukunft entgegen; vergessen Sie darüber auch den Clavierspieler nicht. Es ist eine schöne Sache – bedeutende Virtuosität, wenn sie das Mittel für Darstellung wahrer Kunstwerke ist. Auch mir und meinen Compositionen schenken Sie ferneren Antheil; über Ihre wahrhaft musikalische Auffassung, feurige und energische Aufführung hab' ich wahre Freude gehabt. Ebenso wie über die Ihrer Genossen und Freunde. Vergessen Sie nicht Hr. Grabau, Königslöw und Wasielewski freundlich von mir zu grüßen. Recht bald hoffe ich Sie wiederzusehen!
Ihr
ergebener
R. Schumann.
[BV-A, Nr. 1150:] C. Reinecke Leipzig [Bemerkung:] Ueber s. Compositionen Einiges.
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