Interlaken d. 14 Septbr 92
Lieber, verehrter Freund,
von Ihrer theueren Frau höre ich heute, daß Sie, recht leidend, in Wiesbaden sind, und diesmal allein Ihren Geburtstag verleben, ohne die geliebte Gattin, die Sie, noch dazu sehr leidend, zurück lassen mußten. Ach, wie innig weh thut mir das. – Ich kann es mir nicht versagen, Ihnen in alter Weise, und mit dem alten Freundes-Herzen, die wärmsten Wünsche zu dem morgenden Tage zu senden. Möchte doch Wiesbaden seine Heilkraft an Ihnen bewähren, und das nächste Jahr ein leichteres für Sie, und die theuere Gattin sein, als es Dieses war. Wäre ich in Frankf. ich wäre heute zu Ihnen hinüber gefahren, vielleicht hätte mein Erscheinen Ihnen doch ein Lächeln abgezwungen, aber, aus weiter Ferne muß ich Ihnen ja meine Grüße senden. Immer noch sind wir hier bei Ober, verlassen aber Interlaken nächste Woche, und denken am 25–26 d. M. zu Hause zu sein. Es wäre mir nun eine Herzens-Freude, könnte ich Sie doch noch in Wiesbaden sehen, und, ich bitte Sie, senden Sie mir am 25ten eine Postcarte Adr. 32 Myliusstr., ob Sie noch da sind wie lange Sie bleiben, und ob ich Sie eine Stunde sehen kann – dann komme ich.
Einstweilen wollen Sie Ihrer lieben, armen geprüften Frau meinen Dank für den altfreundschaftlichen Brief sagen – ich schreibe ihr später selbst. Sie schreibt von einem Briefe, den sie mir im Sommer gesandt, den ich aber, leider, nicht erhalten.
In Treue und Verehrung
Ihre Clara Schumann.
Meine Töchter senden ihre wärmsten Wünsche.
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