München d. 13 Septbr 1887
Lieber, verehrter Freund,
aus der Fremde sende ich Ihnen wieder meine Glückwünsche zum 15ten. Sie wissen, daß Diese die treuesten, innigsten sind! möge Ihnen der Himmel Gesundheit des Körpers und Geistes bewahren – das ist doch die Hauptsache! – Sie erstaunen gewiß mich in München zu sehen, statt im Gebirge, leider sind es sehr traurige Umstände, die uns (Marie und mich) hier halten. Mein Ferdinand ist so krank an Gelenkrheumatismus u. Morphiumsucht, daß ich ihn hier in eine Heilanstalt bringen will, und ihn dieser Tage hier erwarte, nachdem wir bereits seit Monaten die schwersten Sorgen und Kämpfe seinetwegen und seiner Familie halber durchlebt haben. Ich habe seinen Hausstand aufgelöst, seine aeltesten Kinder in gute männliche Aufsicht gebracht, u. er soll nun für seine Gesundheit thun, was eben möglich ist; natürlich mußte er seine Stelle bei Mendelssohn’s aufgeben, und nun liegt mir die Sorge für die ganze Familie ob. So können Sie nun wohl denken, wie wir leben. Nächster Tage wollen wir noch etwas Luft in Baden schöpfen, dann nach Frankf. Ende d. M. Wie geht es wohl Ihrer theueren Frau? wie lange hörte ich nichts von Ihnen, und dacht doch so oft Ihrer, wie ich denn immer die alten Freunde im Herzen trage, wie oft in vergangenen schönen Zeiten lebe!
Nehmen Sie den flüchtigen Gruß nachsichtig auf, lieber, verehrtester Freund! bewahren Sie Beide mir Ihr Wohlwollen und glauben Sie mich allezeit
Ihre
von ganzem Herzen ergeb
Clara Schumann.
Marie sendet ihre wärmsten Wünsche! sie ist mein guter Schutzgeist.
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