Baden d. 19 Juni 1869.
Liebe, verehrte Freundin,
warum höre ich gar nichts von Ihnen und Ihrem lieben Mann? dies hätte ich schon längst gefragt, aber, Sie kennen ja in etwas mein bewegtes Leben im Winter und meine Thätigkeit im Sommer, die dann von so vielen Seiten beansprucht wird, daß ich, statt Ruhe hier zu finden im Gegentheil oft recht von Einem zum Andern gehetzt bin. Namentlich ist dies nun auch diesen Sommer der Fall; da ich jetzt vier meiner Kinder zu Hause habe, und den Unterricht in der Musik allein übernommen habe. Dies und all das Andere möge mich bei Ihnen entschuldigen, gedacht habe ich oft genug an Sie und wüßte so gern, wie es Ihnen Allen geht, und was Sie für diesen Sommer vor haben? man kann sich freilich kaum entschließen jetzt Pläne zu machen, bei solch ’ner Kälte, aber, es muß denn doch bald anders werden. Wie steht es mit Ihrem Hierherkommen? Von uns kann ich Ihnen Gutes sagen, d. h. von meinen Kindern, die dem Himmel sey Dank so ziemlich wohl sind, Julie ganz munter, Eugenie bleichsüchtig, wie ja alle jungen Mädchen jetzt, die Andern aber ohne irgend etwas, frisch und heiter! ich jedoch, befinde mich sehr unwohl, und muß leider wieder nach Moritz – ich sage leider, weil es gar hart für mich ist, kaum in meinem gemüthlichen home warm geworden es wieder verlassen zu müssen. Brauchte ich nicht meine Kräfte so gar nöthig im Winter, ich ginge nicht, aber, es muß ja sein! In England ist es mir sehr gut gegangen, ich ward auf Händen getragen, von Freunden und Publikum, wie einen Liebling empfängt mich das Letztere stets, bei jedem Auftreten, und das freut Einen doch innig. Ich wünsche mir manchmal, dass meine deutschen Freunde ’mal dabei wären, es würde sie mit freuen. Meine Winterpläne beschränken sich für den nächsten Winter wieder auf Wien und London. Ich will die kleineren Reisen, das viele „Hin und Her“ aufgeben, und gleich Anfangs Winter in eine große Stadt gehen. Wien ist mir sehr lieb, weil ich dort wie in London die warme Theilnahme des Publikums empfinde, und die braucht der Künstler.
Nun, liebe verehrte Frau, sagen Sie mir bald ein Wort – es ist mir so unheimlich, wenn ich so lange nichts gehört! dachten Sie nie mehr an mich? fast fürchte ich es, denn etwas mehr Zeit als ich haben Sie doch!
Mit den herzlichsten Grüßen an Sie und den lieben Mann und Schwestern
Ihre
alte treue
Clara Schumann