23.01.2024

Briefe



Rückwärts
	
ID: 8497
Geschrieben am: Samstag 08.01.1853
 

Düsseldorf d. 8. Januar 1853.
Morgens.

Geliebte Freundin,
wie so innig erfreut hast Du mich durch Deine lieben langen Briefe, und ich, antworte Dir erst heute! wie so undankbar sieht das aus, und doch kann ich Dir mit gutem Gewissen versichern, daß kein Tag verging, wo ich nicht Deiner mit wahrer Sehnsucht gedachte! zum Schreiben konnte ich aber immer nicht kommen, denn mein Tag ist jetzt so eingetheilt, daß ich nicht einmal zum Spielen komme. Denke Dir daß ich seit meinem Krankseӱn noch keine Stunde wieder geübt habe, alle Tage mir es vornehme, und immer wieder abgehalten werde. Mit unserer Gesundheit geht es jetzt so leidlich! mein Mann componirt zwar noch nicht wieder, arbeitet jedoch nichts destoweniger sehr fleißig, und mir nur zu viel, denn oft kehren noch Kopf-Nerven-Affectionen wieder. Mir geht es so, daß ich doch wieder auf den Füßen bin, aber recht kräftig fühle ich mich noch nicht wieder, gebrauche auch immer noch kalte Sitzbäder deshalb. Doch klagen will ich nicht, sondern froh sein, daß ich mit meinem Robert doch in heiterer Stimmung das neue Jahr antreten konnte. Ich hoffe, meine liebe Wilhelmine, daß auch Ihr es heiter und beglückt in Einander begonnen habt! ich kann wohl sagen daß ich, seit ich Dich jetzt wieder sah, nur mit innigster Ruhe und Befriedigung an Dich denken kann, die Du nach so vielen Kämpfen noch ein solches Glück in der Liebe gefunden, einen solchen lieben, verehrungswürdigen Mann! – Was hilft Einem am Ende alles äußerliche Glück, aller Beifall der Menge, wenn man sich im Innersten unbefriedigt fühlt! es ist ja Alles so nichtig, streift nur eben so vorüber wie Nebel! wie so öde und leer ein Leben ohne Liebe! und selbst die Schmerzen der Liebe, ich möchte sie nicht missen. An der Welt hat man doch gar so wenig, das fühlt man doch immer mehr, je länger man in ihr lebt! ich möchte wohl manchmal wünschen, wir könnten uns mit einigen wenigen Freunden und unseren Kindern natürlich in einen Winkel der Erde verkriegen [sic], um nur gar nichts mehr von der Welt zu hören – die Menschen sind doch gar zu böswillig, oder sind sie das nicht, so sind sie wenigstens traurig verflacht. Hier ist wahrhaftig so, und ich gäbe Gott weiß was darum, könnten wir auf und davon! hätte Robert nur irgendwo Aussicht auf eine Stellung, und wäre es auch nur eine Kleine (die <h> Hiesige trägt ihm ja auch nur 700 Thaler), wir gingen gleich fort! aber selbst eine kleine aber sichere Stellung für Keine aufzugeben wäre doch nicht vernünftig, wenn man 6 Kinder hat. Gott wie oft denke ich darüber nach, wie es wohl mit uns werden wird! manchmal hoffe ich, wir kommen bald fort und Robert in eine angenehmere und vielleicht auch einträglichere Stellung, oft aber denke ich auch wieder, wer weiß ob wir nicht unser ganzes Leben hindurch in Sorgen um unsere Existenz verbringen sollen, genießen wir doch in anderer Weise des Glückes so viel wie kaum unter Millionen Einer. Dieser letzte Gedanke beherrscht denn auch eigentlich so recht mein Innerstes, und giebt mir immer wieder meine gewohnte Elasticität, mit der ich mich dann leicht in Alles füge! wenn mir nur der Himmel meinen Robert erhält und meine Kinder, dann ist Alles gut! –
Aber, meine liebe, theuere Wilhelmine, wie in so trauriger Stimmung schriebst Du mir in Deinem letzten Briefe! während wir glaubten, Ihr lebtet so recht in Saus und Braus, fängst Du Grillen in Deinen vier Pfählen! nun, ich hoffe die sind bald vorüber gegangen! Du hast ja Deinen geliebten Mann, Sorgen Keine, die wohl einen Anderen einmal das Leben trüben, so genieße es denn auch in Heiterkeit. Daß Ihr aber da draußen in Passÿ im Winter wohnt, begreife ich nicht! das ist doch sehr beschwerlich, wenn man mit der Stadt <?> Verbindungen unterhalten will! Wie interessant muß jetzt das Leben in Paris sein! aber welch ein Uebermuth überkömmt das Volk! welch abscheulicher Luxus – da stehen Einem die Haare zu Berge, wenn man das liest. Trägst Du auch schon Goldstaub in den Haaren? doch, Du brauchst das nicht, Du hast ja schon vom Himmel gold’nes Haar erhalten! –
Wie sehr haben uns Deine musikalischen Berichte auch interressirt! eben, als ich Deinen Brief bekam hatte ich eine fürchterliche Lobhudelei über H[iller] gelesen, gerade über die freie Fantasie, wo sich Beethoven und Meyerbeer herumgezaust! wie haben wir gelacht! –
Ja, ich kann mir das Musiktreiben in Paris nicht traurig genug denken, und finde eigentlich auch, daß Du mit Deinem ächt deutschen Herzen da nicht hin paßt. – Es muß aber doch höchst interressant sein, einmal einen Winter in Paris zu verleben, und doppelt interressant, wenn man dabei den stillen Beobachter abgeben kann und nicht selbst mit zu kämpfen braucht. – Musikalisch geht es bei uns auch jetzt wieder recht lebhaft zu! Robert hat bereits zwei Concerte wieder dirigirt und in Einem eine neue Ballade >vom Pagen und der Königstochter< aufgeführt, die wirklich jedes Herz, das nicht von Stein, zum Fühlen gebracht, es ist aber auch wahrhaft zauberische Musik! wie so innig leid thut es mir, daß sich nie die Gelegenheit bietet, Dir einmal eines seiner neuesten größeren Werke vorzuführen! so z.B. die Ouvertüre zum Manfred, dritte Symphonie, seine Musik zum Faust und wie so Manches noch! Du kennst doch immer nur das Geringste von ihm – die kleineren Sachen! – nun, vielleicht führt uns der Himmel noch einmal in einem Orte zusammen – oh wie herrlich müßte das sein, dann müßten sich die Engel im Himmel freuen über unser Musik-Leben.

Nachmittags.
Ich beschließe diese Zeilen nachdem ich drei Stunden gegeben, also eben nicht sehr frisch! verzeihe mir dies, geliebte Wilhelmine, wie ich denn überhaupt für alle geschriebenen sowie noch zu schreibenden Briefe um Deine Nachsicht bitte! an ein Freundin, wie Du mir bist, vor der mein Herz immer und in alle Zeiten offen daliegt kann ich keine sogenannte schöne Briefe schreiben – die Feder läuft immer mit dem Herzen davon. Wirst Du mir nun bald wieder schreiben? oder wirst Du mich für mein langes Schweigen strafen? doch Nein! Großmuth und Mitleiden waren ja immer zwei Hauptzüge Deines Herzens! – Noch muß ich Dir am Schlusse eine mir heute zugekommene Trauerbotschaft mittheilen, den Tod von Jenny Carus in Dresden am zweiten Weihnacht-Feiertag am Nervenfieber! die armen Eltern dauern mich gar sehr, besonders die Mutter! welche Prüfungen doch der Mensch ertragen muß! – Noch wollte ich Dich warnen, bleibt doch ja nicht in Eurer Wohnung, wenn sie feucht ist, denn was man sich da schadet, kann man gar nicht so leicht wieder gut machen! doch lieber einen pecuniären Schaden leiden, als an der Gesundheit! – Die Messe von La Trobe hat mein Mann erhalten, leider aber ist jetzt keine Aussicht zu einer Aufführung, indem wir nur einige Concerte noch haben, von Denen Eines durch die Jahreszeiten ausgefüllt wird, das Andere meines Mannes Eigenes ist, wo er einige neue Compositionen von sich aufführen will, und dann haben wir nur noch eine Soiree ohne Orchester. Doch findet sich gewiß später noch einmal Gelegenheit, und die soll dann nicht unbenutzt bleiben. Neulich haben wir auch das Finale aus der Loreleÿ gegeben, und da dachte ich an Deinen Ausspruch, den in allem Ernste zu bekämpfen ich große Lust hätte, müßte ich nicht endlich einmal schließen, denn Robert wartet auf mich zum Spatzieren gehen. So seÿ mir denn recht von Herzen umarmt! Robert grüßt Euch Beide freundlichst, und auch von mir sage Deinem lieben Manne das Schönste.
In treuer inniger Verehrung
Deine Clara.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Düsseldorf
  Empfänger: Schröder-Devrient, Wilhelmine, in 3. Ehe verh. Bock, Wilhelmine (1405)
  Empfangsort:
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 7
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Jenny Lind-Goldschmidt, Wilhelmine Schröder-Devrient, Julius Stockhausen, Pauline Viardot-Garcia und anderen Sängern und Sängerinnen / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Jelena Josic, Thomas Synofzik, Anselm Eber und Carlos Lozano Fernandez / Dohr / Erschienen: 2023
ISBN: 978-3-86846-018-6
460 - 463

  Standort/Quelle:*) D-Zsch, s: 6848-A2
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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