23.01.2024

Briefe



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ID: 8788
Geschrieben am: Montag 18.02.1856
 

Pest d. 18 Febr. 1856

Einen Gruß aus Ihrer schönen Vaterstadt muß ich Ihnen doch senden! wie viel, mein lieber Freund, denke ich hier an Sie! mir kam’s ordentlich wie ein Unrecht vor, als ich hier allein herein fuhr! wie ist das schön! <hier!> und Sie haben mir nie davon erzählt, das begreife ich gar nicht. Ihre Eltern sah ich gestern aber nur ganz flüchtig, da ich sie früher verfehlt hatte. So viel kann ich Ihnen sagen, daß sie Beide wohl sind. Nächster Tage will ich einmal wieder hin gehen. Ich habe heute ein brillantes Concert gegeben, mit das Beste auf der ganzen Reise in pecuniärer Hinsicht; und Beifall war’s auch genug. Sonnabend soll das Zweite folgen. Der Adel interressirt sich sehr für mich, z. B. Frau v. Bohus, Graf Clam, Graf Festeticz, die gleich große Anzahl von Billetten genommen ect. Die Hildegarde war auch da, kurz, hatten Sie früher meine Erwartungen auf Pest herabgestimmt, so bin ich jetzt sehr angenehm getäuscht. Roszavöggl besorgt mir sehr freundlich Alles. Ueber die Lage der Stadt kann ich aber gar nicht aufhören entzückt zu sein, dann interressirt mich sehr das Landvolk, die eigenthümlichen Physiognomien, das üppige Haar, schöne, lebendige Augen, so recht kräftige Menschen! der Blick der Leute hat oft etwas träumerisches – ich sehe es vielleicht mehr als es ist, aber wie oft werde ich an Sie erinnert! Sie haben doch ein ganz ungarisches Gesicht; jetzt finde ich es erst recht, nun ich hier im Land. Aber mit Ihrer Musik passen Sie nicht hierher – gestern hörte ich ein philh. Concert, F dur Symph. von B. Sommernachtstraum-Ouvert. das war graulich! Was der Anfang dieser Zeilen hätte sein sollen, bildet den Schluß, der Dank, Sie lieber Freund, für Ihren Brief nach Wien, der mich ganz aussöhnte. Hätten Sie’s nur besser in Hannover, der Aerger ist Ihnen gar nicht gut, er schadet Ihrer Gesundheit, und dem frohen jugendlichen Muthe, den Sie haben sollen, ein Mensch wie Sie, dem solch eine herrliche innere Welt entgegenlacht! – Sie leben jetzt in Musik-Wonnen, Joh. ist selig! könnte ich doch bei Euch seyn! wie mögen Sie die 9te herrlich einstudiert haben – wie froh bin ich, daß wenigstens Johannes es gehört! Nun, Morgen werde ich bei Euch sein, da wird’s ernst und lustig hergehen! mit Haydn schließt Ihr wohl? Sie haben doch nicht im Ernst gedacht, daß ich wollte, Sie sollten meinetwegen hierher kommen? das hieße doch unbescheiden über alle Begriffe. Sie kennen mich doch besser! Entschuldigen Sie dies Böglein, die zwei Tintenfässer vor mir thuen auch das ihrige, wie ich eben mit Schrecken bemerke! Nun, schwarz oder blau, mein Gruß bleibt immer derselbe treue, innige! Ihre alte Freundin
Clara.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Pest
  Empfänger: Joachim, Joseph (773)
  Empfangsort:
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 2
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Joseph Joachim und seiner Familie / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Klaus Martin Kopitz / Dohr / Erschienen: 2019
ISBN: 978-3-86846-013-1
250ff

  Standort/Quelle:*) D-Zsch, s: 6326-A2
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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