23.01.2024

Briefe



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ID: 8848
Geschrieben am: Dienstag 16.09.1856
 

Heidelberg d. 16 Septbr. 56
Liebe Freundin,
nur mit wenigen Zeilen kann ich Ihnen danken für Ihre herzlichen Worte! wer mehr als Sie kann solchen Schmerz begreifen, wie er mir geworden! sein Liebstes zu begraben auf Nimmerwiedersehen! ich wüßte nicht, wie ich es trüge, hätte ich Ihn nicht noch gesehen, noch ein Mal seine zärtliche Umarmung gefühlt, noch einige lichte Augenblicke erhascht, wo er [mich] denn mit seinem milden, liebewarmen Blicke ansah! Sie kannten diesen Blick, wer ihn ein Mal sah, vergißt ihn nie – er hatte ja dies himmlische Wohlwollen für die ganze Welt! Aber, liebe Freundin, er litt unbeschreiblich, es war doch das traurigste Leiden, das sich denken läßt! Daß ein liebend Weib solchen Anblick trägt, ist nicht zu begreifen, und ich trug ihn mit Ruhe und Fassung, freilich das Herz blutete, wie aus tausend Wunden. Aber, um Erlösung flehete ich Gott, und als Er todt, da kannte ich nur das eine Gefühl des Dankes gegen Gott, der Ihm, der Herrlichsten Einem, den Frieden geschenkt! –
Jetzt aber, theuere Frau, ist der Schmerz von Tag zu Tag heftiger! ich habe furchtbare Stunden, ach und sehe ich die armen Kinder an, die solchen Vater verloren! Joachim und Brahms standen mir treu zur Seite in den schweren Tagen! Letzterer immer, so ist er denn auch jetzt mit seiner Schwester mit mir in der Schweiz gewesen, wo ich mich etwas erholen wollte, doch griff mich das Bergesteigen (andere als steigende Spatziergänge giebt es dort ja nicht) so an, daß ich es vorzog hierher zu reisen, hier noch 8–14 Tage zu bleiben. Doch, Erheiterung kann Einem nur momentan werden, wo solche Wunden geschlagen im Innersten! –
Meine Kinder sind wohl – die beiden Aeltesten in Leipzig wo Marie zu Ostern confirmirt wird! sie entwickeln sich geistig zu meiner Freude – dies muß mir Muth und Krafft verleihen und die göttliche Kunst; wie fühle ich ihren Balsam oft! so blieb mir denn doch noch Vieles auf der Welt – dankbar erkenne ich es, das glauben Sie mir!
Bald muß ich nun wieder mein Wanderleben antreten – wie schwer [ist] mir der Gedanke daran! wohin, weiß ich noch nicht, ich glaube aber nach München, Augsburg ect. ect. Im Frühjahr gehe ich dann wieder nach London, wo es mir sehr gut ergangen, von Seiten des Publikums.
Das Schreiben wird mir schwer, dieß muß mich bei Ihnen entschuldigen für meine Schrift.
Grüßen Sie die lieben Ihrigen, von Freund Brahms soll ich auch schönstens grüßen, und nehmen Sie noch meinen Händedruck für das innige Gedicht Ihres theueren Mannes.
Recht von Herzen grüßt sie
Ihre
Clara Schumann.

Wie mag es bei Bendemanns gehen? Nichts hörte ich von ihnen.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Heidelberg
  Empfänger: Reinick, Marie (1245)
  Empfangsort:
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 6
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Eduard Bendemann, Julius Hübner, Johann Peter Lyser und anderen Dresdner Künstlern / Editionsleitung: Thomas Synofzik, Michael Heinemann / Herausgeber: Renate Brunner, Michael Heinemann, Irmgard Knechtges-Obrecht, Klaus Martin Kopitz und Annegret Rosenmüller / Köln: Verlag Dohr / Erschienen: 2014
ISBN: 978-3-86846-017-9
840ff.

  Standort/Quelle:*) D-DÜhh, s: 37.2482
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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