Frankfurt d. 6ten Jan. 1880.
Geehrter Herr Doctor!
Es ist mir so innig leid, dass ein Missverständniss zwischen uns obwaltet, denn nur ein solches ist es, und bei der Hochschätzung und warmen Gesinnung, die ich für Sie hege, ist es mir Bedürfniss Ihnen direct den Thatbestand auseinander zu setzen.
Brahms frug mich vor circa zwei Jahren, ob ich nichts dagegen habe, wenn Sie in |2| einer biographischen Skizze meines Mannes dessen Briefe an Brahms u. Joachim mit aufnähmen, was ich gern zugestand. Eine Zeit darauf schrieb er mir wieder, Sie wünschten meine definitive Bewilligung zu dieser Skizze aus der Zeit der Krankheit zu haben. Dies frappirte mich, denn ich hatte nie daran gedacht, dass diese Skizze ausschliesslich eine Zeit behandeln sollte, über die man doch lieber den Schleier zöge, und dieses Empfinden hatten meine |3| Kinder in so hohem Grade, dass ich mich entschliessen musste, mein Jawort zu verweigern. Unterdess kam mir der Gedanke einer Sammlung v. Briefen und zugleich lernte ich Herrn Kalbeck kennen, der mir von Heyse warm empfohlen war, erstlich als befähigter Schriftsteller, zweitens als ein junger Mann ohne Stellung, wie er damals war, der sich dieser Arbeit ganz ausschliesslich würde hingeben können, u. Zeit genug hätte auch einige Monate hier zuzubringen, um das Material einzusehen, |4| was ich natürlich zum Theil nicht aus den Händen geben mochte. Indess hat nun freilich Herr Kalbeck die Stelle in Wien angenommen, die ihn sehr in Anspruch nimmt – nun, dies konnte man nicht vorher wissen. Ich war unbefangen genug im vorigen Frühjahr, als Herr Brahms hier war, gegen diesen zu äussern, wie ich hoffe, dass Sie, als erfahrener Meister, Kalbeck hie und da einen Rath ertheilen würden, worauf Brahms mir heftig erwiederte, |5| wie ich denn so etwas glauben könne, nachdem ich Ihnen die Herausgabe der biographischen Skizze, die Sie bereits fertig gehabt hätten, verweigert habe. Dies erschreckte mich sehr, und veranlasste mich schliesslich, als ich im Sommer Frl. Dratschmid sprach, diese zu beauftragen, Ihnen meine Einwilligung mitzutheilen. <> Ich glaubte, die Thatsache, dass Sie die Arbeit schon fertig hatten, ehe ich mit Kalbeck in Verhandlung trat, werde es Diesem gerechtfertigt erscheinen lassen. Zugleich |6| sagte ich Frl. Dratschmied, dass ich meine Einwilligung nur geben könne, wenn Sie mir eine Einsicht in die Skizze gestatteten, und ich ausscheiden könne, was ich nicht gedruckt haben wolle. Neulich schickt Sie mir nun, wie Sie wissen, Ihren Brief, aus dem ich zu meinem Erstaunen sah, dass Sie die Arbeit erst beginnen wollten, und nun fiel ja der Hauptgrund, der mich zu meiner Einwilligung bewogen hatte, hinweg, und ich fühlte es mit meinem Gewissen gegen Kalbeck nicht verein-|7|bar, sie Ihnen jetzt noch zu geben. Versuchen Sie es, geehrter Herr Doctor, sich an meine Stelle zu setzen, und Sie müssen mir dann ja zugestehen, dass meine Empfindung nicht unrichtig war. Persönliche Beziehungen konnten hier nicht in Betracht kommen.
So schliesse ich denn mit der Bitte, dass Sie mir doch nicht mehr zürnen mögen, da ich mich wirklich in dieser Sache ganz schuldlos fühle.
Entschuldigen Sie das Dictat, indem ich meinen Arm nicht mit Schreiben |8| anstrengen darf.
Ihnen u. Ihrer lieben Frau ein ungetrübtes Neujahr wünschend, bin ich
Ihre
stets warm u. aufrichtig
ergebene
Clara Schumann.
Es wäre mir recht lieb, wenn Frl. Dratschmid diese Zeilen läse, denn ich musste leider ersehen, dass die liebe Marie mich doch nicht ganz verstanden hatte im Sommer.
Verzeihung für die verschiedenen Bogen.