23.01.2024

Briefe



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ID: 9469
Geschrieben am: Montag 22.08.1864
 

Rigi-Kaltbad d. 22 Aug. 1864.

Vergebens wartete ich von Tag zu Tag auf Antwort von Ihnen, lieber Joachim. Es wird mir zu lang meinen Dank für das gesandte Concert zurückzuhalten, und dann ist es mir so, als könnte ich nicht hier sein, ohne Ihnen ein Lebenszeichen zu geben, wo ich doch täglich Ihrer ganz besonders gedenke – waren wir doch vor 3 Jahren um diese Zeit zusammen hier! und wieder stehen die Alpen vor uns in vollster Pracht und was liegt zwischen damals und jetzt! doch, ich will in Ihr Glück keine wehmüthigen Gedanken werfen. Seit 14 Tagen bin ich hier mit Marie und Julie und Ludwig (der sich ’mal tüchtig auslaufen soll) und bleiben wir noch 8 Tage; dann gehen wir nach Interlaken <und> Grindelwald und Gießbach, und nach Haus, wohin ich mich wahrhaft <gern> sehne, denn aus meinem Häuschen heraus zu gehen wird mir immer furchtbar schwer. – Doch nun zu Ihrem Concert, das kennen zu lernen mich sehr interessirt hat, und daß [sic] ich so gar gern von Ihnen und mit Orchester hören möchte. Ich traue mir so nach blosem Durchspielen am Clavier kein rechtes Urtheil zu; zwar erschien es mir ganz ein Meisterwerk, voll feiner und geistreicher Züge, doch wollte es mich nicht so fesseln wie das ungarische, das Einen von Tact zu Tact mit fortreißt, so bis in’s Innerste ergreift! – Zürnen Sie mir nicht, lieber Joachim, daß ich dies so offen sage, lassen Sie es mich lieber recht bald hören, ich glaube sicher, es wird mir bei’m Hören lieber werden; die Geige scheint mir wieder so innig mit dem Orchester verschmolzen, daß es für mich kaum möglich einen klaren Ueberblick nach dem Clavier zu gewinnen. Zu meiner Anfrage wegen England muß ich noch ’mal zurückkehren – ich bin recht in Unruhe, bis Sie mir darüber Ihre Meinung gesagt haben werden, denn es wird die höchste Zeit daß ich meine Winterpläne festsetze, und das kann ich erst nach dem Entschluß für oder gegen England. Also nochmals die Bitte um ein paar Worte nur, und den Brief von Grove retour. Johannes, das wissen Sie wohl, blieb in Baden, und wartet wohl meine Rückkehr ab, was mich herzlich freuen würde. Er wohnt dort in Rubinstein’s Wohnung, und die herrlichen Wäl-der gefallen ihm auch – wer weiß, zu was sie ihn wieder inspirieren. Nun, lieber Freund, seyen Sie mit Ihrer lieben Ursi aufs herzlichste gegrüßt – möchten Sie es doch zuweilen fühlen, wie manch treuer Gedanke Ihre alte Freundin bei Ihnen weilt!
Ihre
Clara.

Die Kinder grüßen schönstens Sie Beide.

Adresse: bis zum 30ten Rigi-Kaltbad, von da an Baden.

Wie steht es, bleiben Sie in Hannover, oder nicht?

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Rigi-Kaltbad
  Empfänger: Joachim, Joseph (773)
  Empfangsort:
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 2
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Joseph Joachim und seiner Familie / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Klaus Martin Kopitz / Dohr / Erschienen: 2019
ISBN: 978-3-86846-013-1
774ff

  Standort/Quelle:*) D-Zsch, s: 6468-A2
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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