Baden-Baden d. 10 Septbr. 1865.
Liebe Elisabeth,
den ganzen Sommer haben wir nun immer auf ein Lebenszeichen von Ihnen gehofft, und immer vergebens. Haben Sie denn Mariens Brief aus England (von April) nicht erhalten? er war nach Breslau adressirt. Ich mag nun länger nicht warten, es ist mir ganz unheimlich, wenn ich so gar nichts von Ihnen weiß. Wie geht es Ihnen? wo sind Sie? wo überhaupt, hat man Sie in Zukunft zu suchen? sind Sie ganz nach Breslau übersiedelt? in dem Falle würde ich Sie vielleicht nächsten Winter dort sehen. Für Ihren lieben Brief, gute Elisabeth, muß ich Ihnen doch auch danken. Ihre Theilnahme an meinem Unfall hat mir so wohlgethan. Gott sey Dank ist die Hand ganz wieder hergestellt, und hat nach der Zeit schon wieder so Manches geleistet. Sie hörten aus Mariens Brief daß wir in England waren, und dort ging es mir außerordentlich gut; waren auch die Einnahmen nicht eben bedeutend, so doch die Aufnahme ganz enthusiastisch, und die Anerkennung, die man meines Roberts Compositionen zollte war mir, wie Sie denken können, doch sehr erfreulich; wenn ich auch weiß daß in England vieles Modesache, so geht eben doch die Begeisterung für diese Compositionen von einer kleinen Schaar Kenner aus, Denen Dieselben vorzuspielen mir eine wahre Freude war, und die Empfänglichkeit im Publikum war dann doch momentan sehr anregend. Ich denke nächsten März wieder hinzureisen, um auch ’mal in den Provinzstädten zu spielen. Daß Joachims zu gleicher Zeit mit uns da waren, sogar ganz in unserer nächsten Nähe wohnten, war eine große Annehmlichkeit – wir sahen uns doch wenigstens einmal täglich. Außerdem machten wir so angenehme Bekanntschaften, daß ich wirklich gern dahin zurückdenke. Von unserem Sommer läßt sich leider nicht nur Gutes berichten; zwar war der Sommer an sich ja herrlich, ich auch so ziemlich wohl, aber der Ludwig hat mir solche Sorgen gemacht, daß ich zu keinem ruhigen Genusse desselben kommen konnte. Es ist nicht zu beschreiben, welche Sorge Einem solch ein Junge machen kann! da sind all die anderen Sorgen nichts dagegen. Denken Sie sich einen träumerischen Jungen, der eigentlich zu gar nichts neigt, als träumen, der so unpractisch in jeder Hinsicht ist, daß selbst seine Lehrer sagen, sie würden nicht wissen, was mit ihm beginnen. Und für Diesen mußte ich nun seine Lebens-Carriere bestimmen! welch schlaflose Nächte hat mich das gekostet! wie gern hätte ich ihm eine höhere geistige Bildung noch gewinnen lassen, doch es war die höchste Zeit, er muß nun in’s practische Leben hinein, sonst ist er ein verlorener Mensch. Er entschied sich nun nach langem Hin und Her zum Buchhändler, und kommt am 1 October zu einem Buchhändler in Carlsruhe in die Lehre, wobei ich wenigstens die Beruhigung habe, daß er bei Will’s bleiben kann, wo man mit liebevoll sorgenden Augen auf ihn sieht. Was mir bei dem Entschluß alles durch die Seele ging, werden Sie mir leicht nachempfinden können, ohne daß ich es sage. Julie kam mir von Guebwiler ganz elend wieder, und gewann ich abermals die Ueberzeugung, daß sie dort Gemüthsbewegungen hat, die sie immer so sehr herunterbringen. Jetzt, nachdem wir alles was in unseren Kräften angewandt, und sie namentlich ruhig und regelmäßig lebt, geht es ihr weit besser. Aber, daß dies auch keine kleine Sorge, begreifen Sie. Im Winter wird Julie wohl zu Freunden nach Mannheim kommen, die sie gern eine Zeit lang bei sich haben wollen. Elise geht nun wirklich Ende d. M. nach Frankfurth. Wie schwer wird mir wieder das! nun kann ich sie nicht mehr bei mir haben, wenn ich will, und sie ist, ihre Härten zuweilen abgerechnet, ein prächtiges tüchtiges Mädchen in jeder Hinsicht, verlässig und wahr wie Gold. Gott segne das liebe Kind und gebe ihr Kraft zu ihrem Berufe. Sie hat hier viel Stunden gegeben, war überhaupt sehr beschäftigt, sonst hätte sie Ihnen schon wieder geschrieben. Ich soll Sie schönstens von ihr sowie auch Marien und Julien grüßen. Eine recht große Freude war es mir, daß Brahms den ganzen Sommer hier war, er war natürlich unser täglicher Gast und hat mich oft meinen Sorgen und trüben Gedanken entzogen. Neulich hatten wir auch die Freude Joachims 12 Tage hier zu haben; sie sind nun wieder in Hannover, wo sie den Winter bleiben werden, da sie ihre Niederkunft im Januar erwartet. Er wird wohl viel reisen, da er keine Stellung dort mehr hat. Liebe theuere Elisabeth, ich habe Ihnen nun so ziemlich Alles von uns erzählt, und hoffe sehr, Sie lassen bald von sich hören, bitte! Grüßen Sie Ihre liebe Schwester und bleiben Sie immer gut Ihrer
getreu ergeb
Clara Schumann.