23.01.2024

Briefe



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ID: 9615
Geschrieben am: Sonntag 17.06.1866
 

Baden d. 17 Juni 1866

Lieber bester Joachim,

wie betrübend sind Ihre letzten Nachrichten wieder! ich kann Ihnen nicht sagen, wie traurig uns Alle Ihr lieber Brief gestern gestimmt – die arme Ursi, welche neue Geduldsprobe. Den Muth aber lassen Sie nicht sinken, liebster Freund. Ich habe die feste Ueberzeugung daß der Rheumatismus bei Ihrer Frau nur die Folge Ihres Logie’s ist; erinnern Sie sich, daß ich Ihnen schon das erste mal, als ich bei Ihnen war, äußerte, daß ich fürchte Sie holten sich Alle Rheumatismus in dem Hause, wo Sie ja mehr Fenster als Wände haben. Eine wahre Beruhigung ist es mir, daß Sie ein anderes Logie genommen, auch für die Kinder. Hoffentlich ist das neue Logie ein besser gebautes Haus, und haben Sie Ihre Schlafzimmer nach der Sonnenseite? das ist auch eine höchst wichtige Bedingung für die Gesundheit. Ich würde aber an Ihrer Stelle so bald als möglich jetzt mit Ursi von Hannover fort, und nicht erst abwarten bis sie wieder hergestellt, denn, die Luftveränderung wird sie, glaube ich, eher herstellen, als irgend Anderes. Kämen Sie doch gleich hierher mit ihr, hier sind ja die Bäder besonders gegen Rheumatismus, und dabei die Luft so mild, gar keine Zugwinde, und es ist leer, also, weit billiger ließe sich Alles herstellen als vor’m Jahre. Ich habe vorigen Sommer das Badener Wasser im Hause gebraucht, und läßt sich das sehr leicht hier in Lichtenthal einrichten. Jedoch will ich nicht egoistisch erscheinen; findet der Arzt Kreuznach besser, so gehen Sie erst, aber bald, dahin, und kommen dann hierher. Im vorigen Winter hatte ich einmal einen Rheumatismus 5 Tage lang, der so entsetzlich war, daß ich mich unterstützen lassen mußte wenn ich vom Stuhl aufstehen wollte, und dann noch laut ächzte vor Schmerzen, auch nur unter den heftigsten Schmerzen sitzen konnte. Ich hatte in Breslau zu spielen versprochen, der Arzt sagte ich müsse abschreiben, mir war es aber so schrecklich dort im Stiche zu lassen, daß ich unter wahrer Herzensangst abreiste, denn ich hielt es nicht für möglich vor dem Publikum mich an’s Clavier zu setzen. Nun, es ging aber, wurde schon auf der Fahrt besser, und nach drei Tagen kam ich vollkommen hergestellt nach Berlin zurück, während ich vorher all die Zeit gequacksalbert hatte. Wenn Ihre Frau den Muth hat, dann reisen Sie – der feine Zug in Ihrem Hause ist unvermeidlich, und verzögert natürlich die Besserung. Sie armer, lieber Freund! könnte man Ihnen doch nur etwas von <solchen> diesen Sorgen abnehmen! ich weiß, Sie haben immer so Viele die Ihnen im Allem gern beistehen, sollten Sie mich aber brauchen können, etwa Ihrer lieben Frau auf der Reise einige Erleichterung zu bieten, <> gern komme ich zu Ihnen, und begleite Ihre Frau bis Kreuznach. Oder soll ich dorthin gehen und Ihnen ein Logie vorher suchen? ich bin ja jetzt ganz mein freier Herr, und was in der Welt könnte ich wohl mit mehr Freude thuen, als Ihnen, geliebtester und verehrtester Freund, einen kleinen Gefallen zu erweisen! <> mich würde ein Beweis solchen Vertrauens Ihrerseits aufs innigste erfreuen. Für die gesandten Blätter den schönsten Dank – ich sende sie noch heute an die Prinzeß, die große Freude haben wird. Was an dem Blatte der Lind mich sehr frappirt hat, werden Sie wohl auch empfunden haben? sie ist doch ein unbegreifliches Wesen. Hochmuth und Dehmuth, Beides in den schönsten Contrasten. Es freut mich aber, daß <S> sie Ihnen so warm von mir gesprochen, denn ihr Benehmen gegen mich war eben so verschieden, daß ich wirklich wie in der Luft schwebte mit ihr. Aber herrlich ist es, was Sie sagen über ihren Gesang – ja, das ist es, diese innerliche Erregtheit, die Einem oft so ganz hinreißt. Von Johannes hatte ich vor wenig Tagen Brief – er hat sich in Zürich eingemiethet in schöner Lage eine „Componirhöhle“ wie er es nennt, und da wird er wohl eine Weile noch hausen. Sie wissen, wo er ’mal sich eingelebt, da kommt er schwer fort. Ich hoffe aber doch, daß er nicht all zu lang dort bleibt. Er hat sein Requiem beinah fertig, und deutet noch anderes leise an, ohne daß man es eigentlich räth. Von hier kann ich Ihnen nur sagen, daß es herrlich jetzt ist, und so friedlich noch aussieht, daß man gar nicht an Krieg glauben zu können meint. Leider scheint es ja wirklich zum schlimmsten zu kommen. Gott weiß, wie es dann endet! Von mir könnte ich Ihnen leider auch nicht <> nur Gutes sagen, zwar geht es mit der Gesundheit leidlich, aber die Sorgen mit den Kindern (den vier jüngsten) hören nicht auf. Wenn ich bei dem Einen mich wieder für eine Weile durchgekämpft, kommt das Andere, und so werde ich immer außer Athem gesetzt. Dazu kommt daß alle Klagen und Beschwerden sich immer für den Sommer aufsammeln, und es dann von allen Seiten auf mich losstürmt. Gesund sind sie aber, dem Himmel sei Dank, und das ist nun doch ’mal die erste Lebensbedingung. Bitte, lieber guter Joachim, sagen Sie mir bald wieder ein Wort. Sie wissen, ich denke immer so viel und innig an Sie, daß Sie mich wirklich nicht <so> lange ohne Nachrichten lassen sollten wenn es Ihnen nicht gut geht, denn das beunruhigt mich gar so sehr. Grüßen Sie die liebe Ursi, und sie soll nicht muthlos sein – solche Leiden kommen und gehen – sie hat ja das erste viel schlimmere Leiden glücklich überstanden. 1000 herzliche Grüße, auch von den Kindern. Ihre alte Cl. Sch.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Baden-Baden
  Empfänger: Joachim, Joseph (773)
  Empfangsort:
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 2
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Joseph Joachim und seiner Familie / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Klaus Martin Kopitz / Dohr / Erschienen: 2019
ISBN: 978-3-86846-013-1
895-898

  Standort/Quelle:*) D-Zsch, s: 6499-A2
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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