23.01.2024

Briefe



Rückwärts
	
ID: 9732
Geschrieben am: Samstag 21.09.1867
 

Baden-Baden d. 21 Septbr. 1867.

Liebster Joachim,

ich hätte schon früher geschrieben, aber ich wollte ein ruhiges Stündchen dazu abwarten, und das wollte immer nicht erscheinen. Aus vollstem Herzen danke ich Ihnen für Ihren lieben, warmen Gruß, der mich nach langer Zeit ’mal wieder erquickt hat. Sie haben Recht, wenn Sie glaubten, ich dächte weniger gern als sonst an Sie, aber nicht etwa, weil ich ich Sie weniger lieb halte, sondern weil ich seit längerer Zeit schon das schmerzliche Gefühl hatte, als sey ich Ihnen nicht mehr die Freundin wie sonst, als stehe ich Ihnen nicht näher als viele Andere auch. Ich empfand dies namentlich auch in England und dachte aber, wenn Sie wieder in Deutsch-land wären, so würde es sich ändern. Als Sie aber nach Deutschland zurückgekehrt waren, hörte ich Monate nichts von Ihnen, obgleich ich Ihnen gesagt hatte, daß ich Sie so gern im Frühjahr auf 1–2 Tage besuchen würde, und so mußte ich zu meinem wahren Schmerze von Carlsbad zurück einen anderen Weg als den über Hannover reisen, denn, mich aufdrän-gen, das kann ich nicht. Könnte ich Sie doch ’mal sprechen, mir würde gewiß leichter ums Herz, welches, je älter ich werde, und je mehr Menschen ich kennen lerne, je fester sich den wenigen wahren Freunden anschließt. Sie, theuerer Joachim, stehen mir von Allen zunächst, und müssen Sie es doch begreifen, wie hart es mir ist, wenn ich mir in Ihrem Kreise wie eine Fremde erscheinen muß, während kein Tag vergeht wo ich nicht in aller Innigkeit Ihrer und Ihrer Lieben gedenke. Doch nun zu Anderem, und vor allem einen warmen Händedruck für die Freude, die Sie mir gemacht. Auch Ihr Geschenk erfreute mich sehr, obgleich Sie mir ja eigentlich nichts mehr schenken sollen! Die Skizzen sind wohl vom Kaiser Maximilian? es steht kein Name darauf. Daß Ihre liebe Ursi nun leidend, war mir recht betrübt wieder zu hören – ich hatte mir dies gar nicht gedacht, da Sie doch eine Reise zusammen gemacht. Gott sey Dank, daß doch die Ursache ihres Unwohlseyns keine traurige ist. Könnte ich Sie doch nur Alle ’mal sehen! – An Puzzi hatten wir am 12ten wohl gedacht, und <> hat dieser Tag, wie Sie wissen, noch eine besondere Bedeutung für mich. Für mein Familien-Capitel, wonach Sie freundlich fragen muß ich ’nen neuen Bogen nehmen. Wie immer in großen Familien giebt es der Leiden und Freuden Viele und natür-lich nehmen die Sorgen im mütterlichen Herzen immer den ersten Platz ein. Meine Sorgen-Kinder sind immer der Ludwig und Julie, Ersterer durch seinen unbegränzten Hochmuth, der ihn nicht dazu komen läßt, wirklich etwas zu lernen, wie er denn aber überhaupt gern ein Bummelleben führt – Julie durch ihr fortwährendes Nervenleiden, von dem freilich die Aerzte immer sagen, es sey gar nicht gefährlich, was sie aber doch von Tag zu Tag mehr hinunter bringt. Viele Freude habe ich aber an dem Zusammenleben mit ihr, denn sie ist mir unendlich viel durch ihr liebevolles, hingebendes Wesen und ihre große geistige Lebendigkeit. An Ferdinand und Felix habe ich auch viele Freude – ich hoffe sie werden tüchtige Menschen. Marie ist wie immer meine Stütze, Außen und Innen. Eugenie ist jetzt bei uns; über sie gäbe es wohl zu klagen, doch sie ist eben im Backfisch-Alter, damit ist wohl Alles gesagt. – Meine Jungen dürfen doch in Berlin ’mal zu Ihnen kommen und um ein Billet für sich bitten? – Möglich wäre es, ich sähe Sie in Hamburg. Stockhausen schrieb mir nämlich neulich, ob ich mich nicht entschließen wolle diesen Winter wieder mit ihm zu concertieren, und that dies in so bescheidner, netter Weise, daß ich nicht „Nein“ sagen konnte. Nun will er schon in der ersten Hälfte Octobers in Hamburg mit einigen Soireen anfangen, und dann wollen wir auch im November, aber in der 2ten Hälfte, nach Berlin. Wien habe ich natürlich aufgegeben. Wegen England weiß ich noch nichts Bestimmtes, und erwarte dieser Tage Nachricht. Haben Sie schon über den Zeitpunct Ihres Engagements dort bestimmt? – Frl. Ney’s Besuch bei Ihnen hat mich sehr erstaunt, – die Veranlassung aber sehr erfreut. Kommen Ihre Büsten nicht in die Oeffentlichkeit? Allgeyer hat mir neulich Ihre schöne große Photographie geschenkt, was mich freudig überraschte. Er kommt zuweilen herüber, Levi öfter. Es geht Letzterem sehr gut, er ist ganz erfrischt zurückgekehrt, und uns ein lieber Gast immer. Wir hatten überhaupt viel lieben Besuch diesen Sommer, und haben ihn so angenehm wie möglich verlebt. Freilich, Sie, wären Sie gekommen, <hätten ihn> wären uns der erquickendste Sonnenstrahl gewesen! – Sagen Sie Ihrer lieben Frau herzlichsten Dank für ihren lieben Gruß, und grüßen Sie sie schönstens mit den Kindern, auf Deren Bildchen wir hoffen. Hier grüßt Alles und zumeist in alter Treue
Ihre
Clara Schumann.

Entschuldigen Sie die widerständige Feder, die sich so capriciös gezeigt, und überall gesprützt hat.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Baden-Baden
  Empfänger: Joachim, Joseph (773)
  Empfangsort:
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 2
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Joseph Joachim und seiner Familie / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Klaus Martin Kopitz / Dohr / Erschienen: 2019
ISBN: 978-3-86846-013-1
937ff

  Standort/Quelle:*) D-Zsch, s: 6513-A2
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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