23.01.2024

Briefe



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ID: 9969
Geschrieben am: Dienstag 19.04.1870
 

London d. 19 April 1870.
14 Hyde Park Gate.
Meine liebe verehrte Freundin,
wollte ich warten auf eine ruhige Stunde, so müßte ich wohl noch lange Ihnen die Antwort auf Ihren lieben Brief, und eben so Ihrem theueren Manne, schuldig bleiben, und das möchte ich nicht. Lieber, wenn auch nur flüchtig, Ihnen sagen, daß Sie mir die innigste Freude gemacht, und wahrhaft gerührt bin ich stets, wenn Ihr Mann, der so viel in Anspruch genommen, meiner so liebevoll gedenkt, und für mich gar die Feder ergreift. Er weiß eben, welche Freude er mir dadurch macht. Sie erwähnen aber in Ihrem Briefe gar nicht eines Briefes von mir, den ich Ihnen am 4ten Februar von Düsseldorf aus schrieb. Erhielten Sie Diesen nicht? das wäre mir doch sehr leid, ich befürchte es aber, weil Sie sich am Schlusse Ihres Briefes an Marie wenden wegen einer Nachricht.
Ueber unser Ergehen haben Sie von meinen Kindern gehört – ich bin fast noch enthusiastischer aufgenommen gewesen als vorher, und dadurch, daß wir bei Freunden wohnen, die uns hegen und pflegen, wie es nur irgend möglich, haben wir diesmal alle die Lodgings-Fatalitäten nicht durchzumachen gehabt. Jetzt denken wir ernstlich an unsere Abreise, Ende dieses Monats. Ob wir über Brüssel u. Düsseldorf nach Baden, oder Gastein, gehen, wissen wir nicht; ich denke wieder immer an St. Moritz anstatt Gastein, wären nur nicht die fortwährenden rheumatischen Leiden. –
Liebe Freundin, einer Sache muß ich noch erwähnen, die ich, so delicat sie auch ist, nicht unberührt lassen kann. Sie haben mir gesagt, daß Eugenie das Lycäum durch Ihres Mannes Verwendung gratis würde besuchen können, jetzt aber schrieb mir Diese, daß Ihr Mann 10 Thl. für sie bezahlt habe, und war außer sich darüber. Ich konnte Dies sehr wohl begreifen, und schrieb ihr gleich wieder, daß ich mit Freuden das Lycäum für sie bezahle, und Ihnen die Auslage zurückerstatten werde. Erlauben Sie mir dies, liebe, verehrte Frau? ich weiß, Sie sind voller Güte und Liebe für uns, und um Alles in der Welt möchte ich Sie nicht kränken, daher bitte icherst um die Erlaubniß, und werde darin einen neuen Beweis Ihrer Nachsicht und Gerechtigkeit sehen.
Von meiner Julie haben wir stets gute Nachricht – sie schreibt jetzt ganz selig über eine frohe Hoffnung auf nächsten Herbst. Leider nur werde ich sie nun diesen Sommer nicht in Baden sehen, was mir unendlich schwer werden wird. Mein Felix schreibt mir sehr traurig, er könne es bei Planers gar nicht mehr aushalten, da H. P. ihn jetzt fortwährend mit Maulschellen tractire. Mag er diese nun wohl auch zuweilen verdienen, so ist er doch in dem Alter (dazu jetzt Primaner) wo man sich nicht mehr erlauben darf einen Menschen auf solche Weise zu beschämen; ich als Mutter würde das nicht thuen, ein Anderer darf es noch viel weniger. Ich mag Hrn. Planer darüber nicht schreiben, denn dies würde Felix’ens Existenz nur verschlimmern, ich sehe aber ein, daß dies nicht mehr zwei Jahre so fortdauern darf, und muß daher trachten, ein anderes Unterkommen (für Anfang August) für ihn zu finden. Ich will gern pecuniär noch größere Opfer als bisher bringen, wenn mir der Junge nur gut und liebevoll aufgenommen ist. Der Junge hat hinter der scheinbar kalten Außenseite (was eigentlich nur Schüchternheit und Unbeholfenheit ist) ein gar weiches Gemüth, und ich wüßte nicht, was ich drum gäbe, sähe ich ihn in einer Umgebung, wo gerade darauf in feiner und verständiger Weise gewirkt würde. Sollten Sie zufällig von Jemand der Diesem entspräche wissen, und den Knaben aufnimmt, bitte theilen Sie es mir mit. Von Ferdinands Avanciren haben Sie wohl durch ihn selbst gehört – er ist sehr beglückt darüber. Der Junge macht mir große Freude durch seine Tüchtigkeit. Jetzt habe ich nun doch viel länger geplaudert als ich gewollt und gesollt hätte. Adio denn, meine lieben, verehrten Freunde. Sagen Sie mir bald wieder, wie es Ihnen geht, und welche Beschlüsse Sie für den Sommer gefaßt. Wenn wir uns doch sähen!!! Marie empfiehlt sich Ihnen auf das angelegentlichste, und ich umarme Sie in stets treuer Gesinnung
Ihre Clara Schumann.

Stockhausen kommt am 5 Mai wieder hierher. Er sang himmlisch neulich hier. Vom 1 Mai an ist meine sichere Adresse: Frl. Leser, Düsseldorf.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: London
  Empfänger: Lazarus, Sarah (918)
  Empfangsort:
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 18
Briefwechsel Clara Schumanns mit Korrespondenten in Berlin 1856 bis 1896 / Editionsleitung: Thomas Synofzik, Michael Heinemann / Herausgeber: Klaus Martin Kopitz, Eva Katharina Klein und Thomas Synofzik / Köln: Verlag Dohr / Erschienen: 2015
ISBN: 978-3-86846-055-1
194-197

  Standort/Quelle:*) Privatbesitz
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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