23.01.2024

Briefe



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ID: 10315
Geschrieben am: Freitag 07.06.1872
 

Baden-Baden d. 7 Juni 1872.
14 Lichtenthal.
Lieber Avé,
ich bin augenblicklich sehr in Anspruch genommen durch Besuch, der mit uns von Carlsruhe, wo ein herrliches Concert war (Abschiedsfeyer für Lewi) hierher gereist ist, aber ich will Sie wegen der kleinen Schulz nicht warten lassen, und erzwinge mir ein halbes Stündchen für Sie. Fürerst meine herzlichen Glückwünsche für die guten |2| Nachrichten vom Robert! wie interressant klingen Ihre Beschreibungen von dorten! – Aber wie leid thut mir Ihr Unwohlsein! warum gebrauchen Sie nicht ’mal ordentlich ein Bad (Wiesbaden oder Wildbad) für Ihr Leiden? möchte doch Ihrer lieben Frau das Bad recht gut thuen, überhaupt, nur ein kleiner Theil der Wünsche in Erfüllung gehen, die man für so liebe Freunde stets auf dem Herzen trägt! –
Bei uns geht es leidlich! Julie ist immer sehr |3| zart, aber ich hoffe, sie besucht <und> uns diesen Sommer mit Mann und ihren zwei entzückenden Jungen, wie Eugenie sagt. Letztere kam ganz blühend und gesund von Italien vor 4 Wochen zurück – ich vor 3 Wochen von England, wo es mir sehr gut ging.
Mein Felix studiert jetzt in Heidelberg Jura, und macht uns viel Freude; er hat ein brillantes Examen in <H> Berlin gemacht, und war dann auf dringende Einladung unserer Freunde, bei Denen wir immer wohnen, auf 3 Wochen bei uns zum Besuch.
Leider haben wir viel |4| häusliches Misere mit den Leuten – man glaubt nicht wie Einem schlechte Dienstboten das Leben verbittern können. Ich bat neulich Friedchen, sie möchte ’mal auch Ihre liebe Frau für mich wegen einer Haushälterin fragen. In Hamburg soll es tüchtige Wirthschafterinnen geben, und gern hätte ich Eine, die im Winter im Haus bleibt.
Nun endlich aber will ich zu Ihrer Angelegenheit kommen. Ich kann ◊1die Frl. Schulz nicht annehmen, erstens nehme ich principiell keine Schülerin des Stuttgarter Conservatoriums an, weil ich den Anschlag dort nicht billigen, und mit endloser Mühe doch nie mehr herausbringen kann. Dann aber hat Frl. Schulz wie mir Stockhausens sagten die Absicht zu Liszt zu gehen. |5| Stockh. sagt, da sey viel von dem guten unverdorbenen musikal Innern verloren <> gegangen. Das Mädchen spiele bereits wie die Anderen auch – sie staxeln Alle wie mit Storchbeinen auf dem Clavier herum, und das Schrecklichste bei der Sache ist, daß sie ihre Gesundheit bei dieser Art zu üben zusetzen; die Meisten werden ganz nervös, und bekommen auch Schwäche in den Fingern, oder greifen ihre Brust an. Es kann nicht anders sein. Wenn ich nur ’mal ein paar Augenblicke diesen Anschlag versuche, bekomme ich schon die heftigsten Schmerzen in den Armmuskeln. Ich habe mehrere Schülerinnen |6| von dort gehabt, und es verschworen, nie wieder Eine anzunehmen. Wer hat eigentlich diese Frl. Schulz nach Stuttgart gebracht? warum? sie hatte ja ganz guten Anschlag, gute Finger. Ich beklage ihren Hamburger Lehrer, für den es wahrlich schmerzlich sein muß, wenn die Früchte seiner Mühen die sind, wie Stockh. mir erzählte.
Lieber Ave, ich sage Ihnen dies im Vertrauen – sprechen Sie zu Niemand darüber, es nützt ja doch nichts. Urtheilen Sie nach eigner Erfahrung, wenn Sie sich erst überzeugt haben. Vielleicht ist es ja auch so schlimm nicht! – Das aber steht fest, ich kann |7| sie nicht nehmen.
Johannes Triumpflied haben wir vorgestern in Carlsruhe gehört, es ist das Großartigste, Kühnste, Kunstvollste was in diesem Genre seit Bach geschrieben wurde. Ich wollte Sie hätten dem total gelungenen Concerte beigewohnt – es war wie ein Musikfest! Leider geht Levi fort von Carlsruhe nach München, das ist ein großer Verlust.
Meine Freunde kommen so eben – ich schließe indem ich Sie mit all Ihren Lieben auf das herzlichste grüße.
Sie wissen wohl das [sic] Brahms hier ist – |8| er wurde sehr freundlich vom Publikum in Carlsruhe aufgenommen. Das Stück machte den Schluß, obgleich er nur im 2ten Rang saß, und das Publikum mindestens 10 Minuten rief und applaudirte <(er konnte[?]> ehe er auf die Bühne gelangen konnte, ging doch Niemand fort, bis er erschienen war.
In alter Treue
Ihre
Clara Schumann.



  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Baden-Baden
  Empfänger: Avé-Lallemant, Theodor (121)
  Empfangsort: Hamburg
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 24
Robert und Clara Schumann im Briefwechsel mit Korrespondenten in Norddeutschland / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Michael Heinemann, Anselm Eber, Jelena Josic, Thomas Synofzik, Ute Scholz und Arend Christiaan Clement / Dohr / Erschienen: 2025
ISBN: 978-3-86846-034-6
226-230

  Standort/Quelle:*) D-Zsch, s: 6270-A2
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 

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