23.01.2024

Briefe



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ID: 10325
Geschrieben am: Donnerstag 15.10.1868
 

Baden-Baden, den 15. Oktober 1868.
Lieber Johannes,
eben von einem kleinen Abstecher nach Frankfurt zurückgekehrt, erhielt ich Deinen Brief mit den Schlüsseln – der Koffer ist aber längst fort, am 28. September unter Deiner Adresse nach Hamburg. Ich hoffe, er ist jetzt in Deinen Händen.
Ich hätte Dir auf Deinen vorletzten Brief gern gleich geschrieben, aber ich hätte es nur in geschäftlicher Eile gekonnt, das mochte ich nicht. Du wolltest zwar überhaupt keine Antwort darauf, jedoch bist Du noch in einem Irrtum befangen, den aufzuklären es mich um so mehr drängt, als es für unser gegenseitiges Verhältnis von Gewicht ist. Jener Brief ist nicht die Mauer, die zwischen uns steht, wofür ja das Faktum spricht, daß ich schon vorigen Sommer (also lange zuvor er geschrieben) Dich nicht bitten konnte, mich hier zu besuchen, was ich unter anderen Umständen so gern getan hätte! Es gilt aber überhaupt keine Mauer niederzureißen, nur ein wenig mehr Freundlichkeit und nur ein wenig mehr Beherrschung übler Stimmungen, wenn diese sogar anhaltend (wozu, was mich gar oft betrübte, ein arges Mißtrauen gegen uns gehört), wäre ja hinreichend, unser Beisammensein zu einem weit schöneren zu gestalten. Welch ein furchtbares Mißtrauen ist das, wenn Du von Abneigung meiner Kinder sprichst? Erinnere Dich jener Korrespondenz, wo Marie Dich durch mich um einer unbedacht hingeworfenen Äußerung halber um Verzeihung bitten ließ (was sie so gern, unmittelbar nachdem es geschehen, getan hätte, hättest Du sie nicht durch die furchtbarste Unfreundlichkeit zurückgeschreckt), und welches war dann Deine Antwort? Wo steckt dann die Abneigung? Man bittet, wenn man ein solches Gefühl hegt, wohl nicht um Verzeihung für ein kleines Fehl. Wohl aber waren meine Kinder oft erzürnt, wenn sie sahen, wie ich unter manchen Deiner Unfreundlichkeiten litt, wie so manche Stunde, die Du uns hättest leicht verschönen können, trübselig verging, manche von den Stunden, deren ich ohnehin so wenige in meinem Familienkreise habe. Überlege Dir dies doch und sage, ist es denkbar, daß ein Freundschaftsverhältnis mit der Mutter bestehen kann, wenn sich dieses nicht auch mit auf die Kinder überträgt? Wie kann von einem solchen die Rede sein (so wie ich es mir denke und so sehr wünsche), wenn Du meine Kinder ganze Zeiten lang ignorierst. Es liegt wahrhaftig nur an Dir, lieber Johannes, ob es wieder schöner werde oder sich wirklich eine Mauer zwischen uns aufbaue, was mich mit tiefer Bekümmernis erfüllen würde. Was nun jenen Brief betrifft, so hatte ich ihn längst ad acta gelegt – Du berührtest ihn wieder. Lieb ist es mir aber doch, daß Du mir Deine Meinung deutlicher erklärt, so war es also nur das wie und wann! – Das was steht fest, und dachte ich seit Jahren öfter als mir gut war daran. So sei denn dieses für alle Zeiten abgetan! –
Eigentümlich erscheint mir aber Deine Anschauung des Konzertreisens! Du betrachtest es nur als Verdienst, ich nicht; ich fühle mich berufen zur Reproduktion schöner Werke, vor allem auch der Roberts, so lange ich die Kraft habe, und würde auch, ohne daß ich es unbedingt nötig hätte, reisen, nur nicht in so anstrengender Weise, wie ich es oft muß. Die Ausübung der Kunst ist ja ein großes Teil meines Ichs, es ist mir die Luft, in der ich atme! Hingegen wollt’ ich lieber hungern, als mit halber Kraft öffentlich wirken.
Jetzt will ich aber, ehe ich von anderem spreche, Dir herzlich danken für das reizende Geschenk mit dem frisch lustigen Alpengruß! Ich habe das Kästchen gleich in Gebrauch genommen.
Jetzt bist Du also wieder in Hamburg? Beinahe hätte ich Dich dort gesehen, jedoch mußte ich abschreiben der Philharmonischen Gesellschaft, weil es eine förmliche Hetzjagd geworden wäre, und ich diese meiden muß, damit ich mit frischer Kraft nach Wien komme. Am 21. November soll dort mein erstes Konzert sein. Wirst Du dann schon dort sein? Ich hörte, Du wollest Dein Requiem in Basel aufführen? Wie vereinigt sich dies denn mit Wien? Stockhausen wollte allerdings die Konzerte dort mit mir geben, doch kann ich darauf nicht eingehen, da ich pekuniär zu sehr in Nachteil gerate bei dem kleinen Lokal, und er ebenso. Gibt er die Konzerte mit Dir, so könnt Ihr dafür ein paar mehr geben, und es gleicht sich aus, ich aber bin auf eine bestimmte Zeit beschränkt, und ist es mir nicht egal, ob ich die Anstrengung 3 mal oder 6 mal habe.
Deine ungarischen Tänze habe ich aber schon längst nicht mehr, auch sonst nichts Ungarisches, die hast Du mir vor Jahren ’mal abverlangt und nie wiedergegeben, was mir schon oft recht leid getan – ich spielte sie immer so gern. Sollten sie sich nicht vielleicht in dem Koffer befinden, den ich Dir geschickt? Ich habe nie hineingesehen, weiß es also nicht, mir fiel aber auf Deine Anfrage ein, daß es sein könnte. Nach den Skizzen will ich, wenn es noch möglich, sehen. Wir wollen übermorgen noch auf 14 Tage nach Düsseldorf zu Bendemanns (die mich so freundlich zu sich geladen, daß ich nicht widerstehen kann), und haben daher alle Hände voll zu tun, wissen kaum, wie fertig werden. Es ist eben immer eine große Sache, bis man ’mal das Haus in gutem Stande schließt.
Felix ist vor 8 Tagen wieder zurück nach Berlin – er hatte sich sehr erholt und uns durch sein liebes Wesen viel Freude gemacht. In ihm scheint sich ein seltener Verein von Energie und wieder Weichheit des Gemüts zu entfalten – er erinnerte mich tagtäglich in vielen Zügen an Robert, und immer fühlte ich mich beglückt durch den Blick in sein Inneres. – Von Julie haben wir fortwährend, seit fast 4 Monaten, gute Nachrichten, noch ist aber nicht bestimmt, wann sie nach Deutschland zurückkommt. Sie ist augenblicklich in Venedig mit Frau Schlumberger. Im übrigen geht alles gut.
Noch eines fällt mir ein: willst Du den Rinaldo jetzt herausgeben? Verzeihe, wenn ich dagegen etwas Bedenken gerade jetzt so kurz nach dem Erscheinen des Requiems ausspreche. Ist dies Werk nach dem Requiem bedeutend genug?
Nun muß ich aber an meine Koffer, die offen und mahnend um mich herum stehen.
Lebe wohl, lieber Johannes, und laß bald von Dir hören
Deine
Clara.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Baden-Baden
  Empfänger: Brahms, Johannes (246)
Empfangsort: Hamburg
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
1120-1124

  Standort/Quelle:*)
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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