23.01.2024

Briefe



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ID: 10528
Geschrieben am: Samstag 31.12.1842
 

Leipzig d. 31/12 1842
Endlich, meine liebe Marie, wird mir ein Stündchen mit Ihnen zu plaudern, und Ihnen vor Allem zu danken für Ihr freundliches Briefchen, und Ihre lieben Besuche hier in Leipzig. Sie fehlten mir recht, besonders wenn die Uhr eilf schlug, da dachte ich Sie müßten kommen, doch vergebens. Ich habe übrigens Hoffnung Sie bald einmal wieder in Berlin zu sehen, im Sommer muß ich doch meine Mutter besuchen, das ist mein großer Wunsch.
Recht sehr betrübt es mich zu hören, daß Ihre verehrte Frau Mutter so sehr leidend ist; welches ist das Leiden? es sind doch nicht Folgen der Reise? darf ich Sie bitten mir etwas darüber zu schreiben, ich hoffe doch, das Unwohlsein wird nicht mehr von langer Dauer sein! sagen Sie Ihrer lieben Frau Mutter meine besten und aufrichtigsten Wünsche für Ihre baldige Genesung.
Was Sie mir über Mendelssohn schreiben, setzte mich in Staunen, denn während Sie mir sein Bleiben in Berlin verkündeten, verkündeten, hatte er schon den Tag seiner Ankunft hier gemeldet, und zugleich seine Anwesenheit für diesen Winter. Sie können Sich wohl denken, wie wir uns freuen, wieder so manche Stunde mit ihm musiciren zu können, und welch herrliche Genüsse er uns schafft. Der Tod seiner Mutter hatte ihn uns jetzt einige Wochen entrückt, er war fast gar nicht sichtbar, doch mit Anfang des neuen Jahres, wird auch das musikalische Treiben wieder mit neuem Eifer beginnen. Den 8ten Januar denke ich eine Privat-Matinée im Gewandhaus zu geben, wo ein Quartett, ein Clavier-Quintett meines Mannes, sowie verschiedenes Andere zur Aufführung kommen soll, auch werde ich mit Mendelssohn ein Duo spielen, außerdem noch die A dur Sonate von Beethoven. Mein Mann hat mich zu Weihnachten wieder überrascht, daß ich auf’s tiefste erschüttert war von seiner Liebe zur Kunst und seinem schönen, edlen Streben nach dem Höchsten in der Kunst. Er hatte heimlich ein Claviertrio und ein Clavierquartett componirt, und bescherte es mir am heiligen Abend. Ich war unendlich glücklich diesen Abend, nur fehlte uns noch die Mutter, die sich besonders an Mariechen erfreut haben würde, die jetzt über Stock und Stein läuft, und nicht wenig bei’m Anblick des Lichterbaumes jubelte. Eine recht große Bitte habe ich an Sie liebe Marie: Ueberbringerin Dieses ist meine Freundin Elise List, die sich zur Künstlerin gebildet und in Berlin ihr erstes Debüt zu machen gedenkt. Sie hat eine wundervolle Stimme und Sie werden sie gewiß auch persönlich lieb gewinnen. Meine Bitte ist nun, daß Sie Sich ihrer annehmen (sie hat nur eine Gesellschafterin bei sich), ihr guten Rath geben, wo sie ihn braucht, und Ihren lieben Vater bitten, daß er ihr seinen Schutz angedeihen läßt. Sie ist die Tochter des Consul und Dr. List, jetzt in Augsburg, den Ihr Herr Vater gewiß aus seinen literarischen Arbeiten kennt. Sie werden an ihr auch ein sehr gebildetes, geistreiches Mädchen finden, und mich durch Erfüllung meiner Bitte zu großem Dank verpflichten. Daß Sie noch Gelegenheit fanden das Talent des kl. Rubinstein zu erkennen, freut mich sehr, Sie werden Sich wohl erinnern, wie ich Ihnen schon in dem Concert, wo er spielte, davon sprach, wie unvortheilhaft er sich gerade hier zeigte – auch ich fand in ihm ein seltenes Talent. Schade, daß er hier so wenig Glück machte, was doch für seinen Ruf nicht gut war. Sehr begierig bin ich auf die beiden Millanollos, die eminent spielen sollen, und Alles schlagen, selbst Ernst konnte neben der Aeltesten nicht bestehen, so heißt es von Frankfurth aus. Sie kommen bald nach Berlin und hierher. Auch Liszt wird ja bald wieder bei Ihnen sein! – Nun, meine Liebe, werden Sie genug meines Geschwätz haben, darum sage ich Ihnen schnell noch ein Adieu, und bitte Sie recht freundlich um ein baldiges Briefchen wieder. Noch sage ich Ihnen Allen meine herzlichsten Glückwünsche zum neuen Jahr – möchten Sie Alle es gesund und wohl antreten!
In aufrichtiger Liebe umarmt Sie
Ihre
Clara Schumann.

Mein Mann trägt mir noch an Sie viel Schönes auf.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Leipzig
  Empfänger: Lichtenstein, Marie, verh. Hoffmeister (2597)
  Empfangsort:
  SBE: II.17, S. 375-378

  Standort/Quelle:*) D-LEm, s: Msa PB 24
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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