Spinabad bei Davos, Graubünden d. 31 July 1877.
Lieber Levi,
nicht länger will ich Sie ohne einen Gruß lassen – er wäre schon früher an Sie abgegangen, aber ich hatte endlose Briefe zu schreiben, veranlaßt durch Elisens Verlobung. – Nun aber vor allem zu Ihnen, Sie armer Dulder! das ist ja sehr traurig, daß Sie da in dem kleinen Orte liegen, ohne Freunde, ohne Erheiterung! warum nur gehen Sie immer dorthin? können Sie denn nicht ordentlicher, regelmäßiger leben, dann werden Sie schon keine Bäder brauchen, und können in die hohe Bergluft, die über Alles erquickend ist. Zürnen Sie nicht, lieber Freund, aber ich Alte darf Ihnen wohl sagen, wie Unrecht es ist, daß Sie so in jeder Weise innerlich und äußerlich auf Ihre Natur losstürmen! solche Aufregungen wie Sie sie durchmachen, solch ein Leben in die Nacht hinein, hält kein Mensch sein Lebelang aus. Könnten Sie doch die Krafft gewinnen allem diesen zu entsagen und Manchem, das ich nicht aussprechen will, welch ein Glück für Sie wäre es, und welche Freude für die, die Sie lieb haben. Mein Zweck, als ich hiermit anfing, war nicht Ihnen dies zu schreiben, aber die warme Theilnahme für Ihr Wohlergehen läßt mich doch nicht zurückdrängen was mir so lebendig aufsteigt.
Unsere Anzeige haben Sie wohl nun längst erhalten, und sich mit uns gefreut? ich bin sehr glücklich über Elisens Glück; die Neigung von beiden Seiten war eine langjährige, die Vereinigung von seiner und Frau Berna’s Familie (Sommerhoff ist Frau Berna’s Cousin) längst gewünscht, denn sie hatten Alle Elise sehr lieb – kurz, es bliebe mir nichts zu wünschen, müßte ich sie nicht so weit fortlassen. Sommerhoff, den ich in wenig Tagen sehr lieb gewonnen, denkt aber ernstlich daran in einigen Jahren nach Europa überzusiedeln. Darf man sich in meinen Jahren noch an Hoffnungen halten, so thue ich es an Dieser. Auch äußerlich ist S. gut situiert, und will nur so viel noch erwerben, um später ohne das Geschäfft hier leben zu können. Das Glück der Beiden zu sehen, war Labsal für mein Herz, das in dem Gedanken an den armen Marmorito blutet.
Sie wissen wohl, daß er vor 6 Wochen seinen älteren Knaben, ein entzückendes Kind, von seltenster Begabung, verloren hat, in diesem Kind concentrirte sich seine volle heiße Liebe für Julie, nun ist es auch bei ihr, wenn wir so glauben dürfen.
Felix ist und bleibt einstweilen in Zürich, hierher durfte er nicht mit, die Luft ist zu kalt für ihn. Er hat zur Philologie umgesattelt, was mir sehr recht war, weil er dazu mehr Lust, und mir weit mehr geeignet scheint als zur Jurisprudenz; was aber im Winter wird, weiß ich noch nicht, denn nach dem Norden darf er nicht. Eugenie hat sich prächtig in Meran erholt, und läuft Stunden weit ohne alle Mühe.
Brahms ist in Pörtschach (Kärnthen) kommt aber vielleicht im Septbr. n. Baden wo wir wohl auch hinkommen werden, da unser Häuschen bis dahin frei wird. Er schickte mir neulich Bach’s Chaconne f. d. linke Hand gesetzt – merkwürdig, nicht wahr, aber ich glaube die einzige Art, sich annähernd der Geigen-Wirkung zu vergegenwärtigen. Ein wunderbarer Kopf, der das aussann und so vollbrachte. –
Jetzt aber schließe ich, indem ich Sie herzlich bitte, mir wenn auch nur per Carte, bald wieder eine Nachricht über Ihr Befinden zukommen zu lassen. Die Kinder grüßen herzlich
und zumeist ich Ihre alte treue Freundin
Cl. Schumann.
Wegen Ihrer Concertvorschläge später einmal – bis Weihnachten sind schon alle Engagements abgeschlossen. Dank f. Ihr liebes Anerbieten.