23.01.2024

Briefe



Rückwärts
	
ID: 11290
Geschrieben am: Freitag 04.06.1880
 

Frkfurt a/m d. 4 Juni 1880.
Lieber Levi,
wie war ich erschreckt gestern statt Ihrer Handschrift die der Damen Eller zu sehen. Also waren Sie wieder einmal krank, und wieder in Folge von Ueberanstrengung u. Ueberreitzung der Nerven. Wie traurig ist das und wie sinkt Einem der Muth auf Hoffnung, daß es noch einmal anders werden könne! – Können Sie sich denn wirklich nicht aufraffen zu einem anderen mäßigen Leben äußerlich und innerlich? Sollte es denn nicht gehen, wenn Sie endlich wollten? mit einer geregelten Lebensweise und ganz besonders gerade nach Anstrengungen, würden sich gewiß Ihre Nerven beruhigen, die fortwährende Exaltation, in der Sie leben, würde sich verlieren, Sie kämen vielleicht aus der unglückseligen Wagnerei heraus, der Sie ja ganz und gar zum Opfer fallen, wenn Sie es so fort treiben. Ihre Gesundheit richten Sie zu Grunde eben so Ihre Stellung. Es giebt ja auch noch andere Menschen als Wagner und – andere Musik!
Wie ist es nur zu begreifen daß Sie mit Menschen intim verkehren, die, was Ihnen sonst lieb und werth war, besudeln? (ich sage das natürlich nicht, weil ich dabei betheiligt, würde auch ohne das so empfinden.) Es kommt mir vor wie eine schwere Krankheit, in die Sie verfallen sind mit Leib und Seele; seyen Sie Ihr eigner Arzt, lieber Levi, warten Sie nicht bis Sie geistig und körperlich unterliegen.
Geben Sie Wagner den Platz, den er in den Augen anderer einnimmt, die ihn schätzen, aber wenden Sie sich Ihren alten Idealen wieder zu; Sie werden sie gewiß wieder finden wie das Wahre und Edle uns ja nicht verläßt, wenn wir es nicht verlassen. Könnte ich doch besser die Feder führen, Ihnen besser zu Gemüthe sprechen. Zürnen Sie Ihrer alten Freundin nicht, daß sie überhaupt spricht, aber, wahrlich, ich kann mich damit nicht zufrieden geben mir zu sagen, daß man Sie gehen lassen müsse, daß Ihnen nicht zu helfen sey ect. Ein alter Freund hat doch auch Pflichten, und darf nicht erlahmen in seiner Theilnahme. In diesem Sinne nehmen Sie meine Ermahnungen.
Sie in Bonn nicht gesehen zu haben war mir, wie Sie denken können, sehr leid, noch mehr aber that es mir leid, nicht mal einen Gruß an dem 2ten Mai zu erhalten! und leider knüpften sich daran wieder allerlei unerfreuliche Gedanken. –
Lassen Sie mich doch von Gersau aus ’mal eine Carte haben, wie es Ihnen geht? warum gehen Sie nicht lieber in’s bayrische Gebirge, nach Berchtesgaden? da ist es ja so himmlisch, und brauchen Sie keine so lange Reise. Wie schade, daß Sie nicht haben hierher kommen können, wie herzlich hätten wir uns Ihrer Anwesenheit gefreut! –
Wir wollen im July nach Süd-Tyrol St. Ullrich im Grödener Thale, oder Pustertha – wir wollen sehen, wo es uns gefällt.
Nun muß ich aber schließen u. thue es mit den treuesten Wünschen für Sie.
Dank an Ellers f. Nachrichten u. Gruß. Ihre Clara Schumann.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Frankfurt am Main
  Empfänger: Levi, Hermann (941)
  Empfangsort:
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 5
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Franz Brendel, Hermann Levi, Franz Liszt, Richard Pohl und Richard Wagner / Editionsleitung: Thomas Synofzik, Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik, Axel Schröter und Klaus Döge / Köln: Verlag Dohr / Erschienen: 2014
ISBN: 978-3-86846-016-2
832ff.

  Standort/Quelle:*) D-Zsch, s: 6816-A2
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



Wir verwenden Cookies, um Ihnen den bestmöglichen Service zu gewährleisten (Mehr Informationen).
Wenn Sie auf unserer Seite weitersurfen, stimmen Sie bitte der Cookie-Nutzung zu. Ich stimme zu.