23.01.2024

Briefe



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ID: 11719
Geschrieben am: Montag 10.02.1890
 

Fr<f>kf a/M d. 10/2 90
Lieber Freund,
wohl erhielt ich Ihren lieben langen Brief (auch den kleinen Nachtrag) konnte aber mit dem besten Willen nicht früher antworten, da sich in den 6 Wochen meiner Influenza-Krankheit eine solche Menge zu beantwortender Briefe angesammelt haben [sic], daß ich jetzt, wo ich anfange |2| mich zu erholen, kaum weiß, wo ich beginnen soll mich meiner Schulden zu entledigen. So haben Sie denn Nachsicht mit diesem kurzen Briefchen. Sie können denken, mit welchem Interresse ich nach so langer Zeit ’mal wieder von Ihnen hörte, leider nur ist doch Ihre Sorge um die liebe Frau, wie ich aus Ihrem Schreiben ersehe, recht groß, und ich begreife sie vollkommen. Wie traurig, daß sie so furchtbar gelitten, |3| und immer noch leidet. Gott sei Dank, daß sie für die frühere Pflegerin einen Ersatz gefunden – wie ist das wichtig in solchen Zeiten! – Welch ein Glück, daß Sie noch so rüstig sind, und Ihr armes sorgenvolles Herz durch Musik noch erquicken können. Wir leben aber, was die Kunst betrifft, in einer traurigen Zeit, und wir Alten müssen uns mehr und mehr in uns zurückziehen, denn, wo sind für uns noch wahre, ungetrübte Genüsse? Wo ist der Sinn für |4| Schönheit in der Kunst, wie spielen die Leute jetzt? ist es nicht der entsetzlichste Materialismus, wo haben die Künstler die Seele? wo ist Anschlag, Poesie?
Gott sei Dank ist es mir hie und da bei meinen Schülern noch vergönnt ein Saamenkörnchen zu streuen, ach aber, wie wenig ist es gegen den Strom der Zeit! –
Mir geht es jetzt nach u. nach (sehr langsam) besser, hoffentlich bin ich, oder vielmehr, werde ich noch ’mal auf kurze |5| Zeit (lange kann es ja doch nicht mehr sein) die Alte.
Für meine Kinder und die Kunst wünsche ich es doch gar zu sehnlich! – Ach, könnte ich noch ’mal das A moll Concert in Hamburg spielen? vielleicht schicke ich Ihnen aber nächsten Winter oder Herbst einen Schüler (Engländer) der es besser spielen wird, als alle Anderen!
Ich muß schließen, lieber Freund! |6| Wie Vieles gäbe es noch zu plaudern!
Eine Bitte noch: wollen Sie mir die Liebe thuen, Briefe die Sie etwa noch v. mir haben in ein Paquet zu legen, u. darauf zu schreiben, daß nach Ihrem Tode Dieselben an mich oder die Meinigen, wenn ich nicht mehr lebe, abgeliefert werden. Bitte lieber Freund! Sie wissen ja, welcher |7| Unfug leicht mit Briefen geschieht. Oder aber, verbrennen Sie, was Sie haben, das ist das Beste.
Leben Sie wohl, lieber Avé, grüßen Sie die theuere Frau, für die ich zum Himmel um Erleichterung ihrer Schmerzen flehe, und, lassen Sie mich bald wieder hören, wie es ihr und Ihnen geht! |8| Von Brahms u. Joachim weiß ich nur Gutes. Letzterer geht nach London jetzt, und Brahms schafft hoffentlich wieder zum Besten der Kunstwelt – Beide sind unsere Anker!
Ihre
alte treue
Clara Schumann.
Die Töchter grüßen sehr.





  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Frankfurt am Main
  Empfänger: Avé-Lallemant, Theodor (121)
  Empfangsort: Hamburg
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 24
Robert und Clara Schumann im Briefwechsel mit Korrespondenten in Norddeutschland / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Michael Heinemann, Anselm Eber, Jelena Josic, Thomas Synofzik, Ute Scholz und Arend Christiaan Clement / Dohr / Erschienen: 2025
ISBN: 978-3-86846-034-6
282ff.

  Standort/Quelle:*) D-Zsch, s: 6649-A2
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 

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