23.01.2024

Briefe



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ID: 12055
Geschrieben am: Mittwoch 14.07.1886
 

Franzensbad d. 14 Juli 1886.

Meine liebe, theuere Emma,
längst hätte ich Dir ja schon gedankt für Deinen lieben ersten Brief wieder, <mit>in welchem Du wieder als alte treue Freundin z. 8ten Juni erschienest, aber ich war so enorm die letzten Wochen in Frkf. beschäfftigt mit Prüfungen i. d. Schule, Schulconcerten, Correcturen, dazu noch häusliche Miseren, u. Vorbereitungen zur Sommerreise, kurz, gedacht habe ich wohl oft Deiner, aber, schreiben konnte ich nicht. Wie innig froh war ich aus diesem letzten Briefe, dann wieder durch Louise in Leipzig zu hören, wie sehr Du Dich erholt hast. Gott sei Dank für das Glück! Vom Feste in Leipzig hat Dir Louise Alles besser berichtet, als ich es könnte. Es war sehr gelungen, und die Einsegnung würdevoll, von Luckhard schöne einfache, herzliche Rede, die mich für Momente ganz vergessen ließ, wie sehr mein Gefühl eigentlich gegen solch’ne Ceremonie spricht, besonders hier in diesem Falle, und unter den traurigen Umständen, die wir ja leider kennen. Ich finde aber im Allgemeinen, wenn man ’mal 50 Jahre zusammen gelebt hat, braucht <man> die Ehe nicht wieder durch die Kirche besiegelt zu werden. Gott danken, daß man so viele Jahre zusammen gelebt, kann man im Stillen, u. besser, getreuer ruft man sich in seine Seele zurück, was man durchlebt, u. durchfühlt<> hat, als irgend ein Prediger es kann. Aber, wie gesagt, die Feyer war mit der Rede, Orgel u. Chor recht schön. Livia sah merkwürdig jung aus mit ihrem schwarzen Haar, aber der arme Mann doch recht gebrechlich. Ich fürchte doch sehr für ihn; er war wohl die Tage recht munter (die ich dort war) aber der Rückschlag scheint sich nach Livia’s letzten Nachrichten schon vorzubereiten. Sehr fehltest Du, meine liebe gute Emma, und die theuere Ernestine. So rüstig, wie sie war, hätte sie es doch noch erleben können! Zu meinem Bedauern höre ich, daß Herr Gontard sehr leidend sey – hat er einen Schlaganfall gehabt? es scheint mir fast so. Ach ja, es wird überall so ernst, u auch meine Gedanken sind meist sehr trübe. Meine Unterleibsleiden quälen mich sehr, die Kreuzschmerzen sind oft recht peinlich – Gott sei Dank, wechseln sie, u. es kommen auch bessere Stunden. Ueber den Erfolg des Bades kann ich nach erst Sechs nichts sagen, die Moorbäder rühren ja wohl immer erst sehr die Schmerzen auf. Wir finden aber Franzensb. gar nicht so schlimm, als viele Leute uns gesagt, es sind so herrliche Anlagen hier, viel Schatten, u. viele Ausflüge i. d. Umgegend zu machen, was Einem doch Zerstreuung bietet. Heute kommt meine Schwägerin Stadträthin Therese Fleischer, (jetzt 82 Jahr alt) zur Cur, wie schon seit 15 Jahren jedes Jahr. Es ist mir lieb, daß wir dann doch Jemanden hier haben, der uns näher steht. Wir leben überall, wo wir sind, (im Sommer nämlich) so einsam, haben durchaus keine Leichtigkeit in Bekanntschaften machen, es gehört eine gewisse Dreistigkeit dazu, möchten wir gern ’mal anknüpfen mit Jemanden, so fürchten wir zu belästigen. Marie, mein guter Genius, mein Schutzengel warnt mich, ich solle nicht zu viel schreiben, und doch, wenn ich mit Dir spreche, ist mir das Herz so voll. Wie schwer ist doch das Alter, wenn man durch die Kinder noch so fest am Leben hängt. Mein Herz blutet mir, wenn ich an das Scheiden denke von den theueren Töchtern, die mit mir so lange gelebt, mit mir und durch mich gelitten, aber auch meine tiefe Liebe empfunden haben. Wer wird sie noch lieb haben, wenn ich gehe? ich meine, mit ganzem Herzen sie lieb haben? das könnte doch nur der Mann sein, u. sie sind ja nicht versorgt, haben keinen Mann keine Kinder, deren Liebe sie beglücken könnte. Ach Emma, welch schreckliche Gedanken verfolgen mich oft, wohl täglich in stillen Stunden! –
Ich will schließen, ich fühle, es ist jetzt besser so, ich möchte Dir ja keine trübe Minute bereiten.
Leb wohl, Du Gute, der Himmel sey mit Dir, erhalte Dich uns Allen, die wir Dich lieben, aus ganzer Seele hochhalten wie ich
Deine
alte treue
Clara Sch.

An Deine Kinder schönste Grüße.
Marie sendet herzlichste Grüße u. Wünsche. Sie gebraucht auch die Cur noch wegen des gehabten Trubel’s. Sie ist aber recht wohl schon jetzt nach 14tägiger Ruhe, die er sehr nöthig war. Arbeiten thut sie aber doch, hilft mir in den Correcturen ect.

[Umschlag]
Frau
Emma Preusser.
auf dem
weißen Hirsch
bei
Dresden.
Villa Rosalia.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Franzensbad
  Empfänger: Preußer, Emma (1204)
  Empfangsort: Dresden
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 15
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit den Familien Voigt, Preußer, Herzogenberg und anderen Korrespondenten in Leipzig / Editionsleitung: Thomas Synofzik, Michael Heinemann / Herausgeber: Annegret Rosenmüller, Ekaterina Smyka / Köln: Verlag Dohr / Erschienen: 2016
ISBN: 978-3-86846-026-1
325-328

  Standort/Quelle:*) D-B, s: N.Mus.ep. 1237
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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