Baden-Baden d. 2 Septbr. 89.
37 Sophienstrasse
Lieber Joachim,
Ueberbringer Dieses, ein junger Violinspieler, ist der Bruder einer meiner talentvollsten Schülerinnen, aus höchst respectabler, aber sehr unbemittelter Familie, Namens Dessauer, aus Würzburg. Er hat zwei Jahr bei Abel in München studiert, soll recht talentvoll sein, und hat es jetzt durch einige günstige Zufälle errungen, nach Berlin gehen zu können. Sein höchster Wunsch ist, daß Sie ihn prüfen, ob er wohl in der Hochschule aufgenommen werden würde, und vielleicht (die Wünsche gehen weit!) eine Freistelle durch Ihre Vermittlung erlangen könnte. Ich kenne den jungen Mann nicht, aber hörte von Andren viel Gutes über ihn, und die Familie (eine Witwe mit zwei Töchtern u. zwei Söhnen die sie Alle durch billige Clavierstunden aufgezogen hat) ist wohl einer Berücksichtigung werth. Also, lieber Joachim, können Sie, so nehmen Sie sich seiner an. Wir sind dies Jahr nicht in Obersalzb. gewesen, es war so spät geworden, daß es mir die weite Reise nicht mehr lohnte. Wir gingen gleich v. Franzensb. hierher und bleiben hier bis Ende d. M. Wie lange hörte ich nichts von Ihnen direct! von Andren wohl, daß es Ihnen in England sehr gut ergangen ist. Herzlichste Grüße von uns Beiden (Marie u. mir – Eugenie kommt erst in 8 Tagen zu uns aus der Schweiz) und Bitte um ein baldiges Lebenszeichen
Ihrer alten
Clara Sch.
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