23.01.2024

Briefe



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ID: 12447
Geschrieben am: Montag 14.03.1892
 

Frankfurt a/M. 14. 3. 1892.

Lieber Herzogenberg,

Wie tausendmal habe ich in all der Zeit an Sie gedacht und die größte Sehnsucht gehabt, Ihnen einmal ein paar Worte senden zu können, aber es war ja nicht möglich in den Wochen, wo ich so krank war, und jetzt, in der Zeit der Genesung, kann ich doch nur dictieren, und, wie schwer wird mir das an Sie, lieber, armer Freund! Ihr Brief vom 8. Februar hat mich tief gerührt, <St>nur kommt mir das Leben in nur steter Arbeit, welches Sie begonnen haben, übermenschlich vor, und ich ängstige mich, daß Sie sich zu viel zumuthen. Ach, man möchte so viel sagen, was Einem auf dem Herzen liegt, habe ich aber die Feder nicht selbst in der Hand, so wird mir es gar schwer, den tiefsten Empfindungen Ausdruck zu geben, durch andere Hand! – Eine große Beruhigung für alle Ihre Freunde ist sicher, daß Sie mit Hildebrandt jetzt an einem Orte leben! Er ist ein so selten gemüthvoller, feinsinniger Charakter, versteht Sie gewiß ganz in Ihrem Schmerze, und, erhebt Sie doch gewiß auch oft durch seine Kunst über das Erdenleid hinaus – ein Segen. Von mir ist nicht viel zu sagen; ich hatte den ganzen Winter viel zu leiden, und viele Gemüthsbewegungen! Der Tod der geliebten Lisl hat mich auf’s allertiefste erschüttert, und nun kam noch die schwere Krankheit, der mein kräftiger Körper, vor allem auch die Pflege von seiten der Kinder, widerstanden hat. Die Genesung geht aber sehr langsam voran und namentlich leide ich noch sehr viel an Neuralgie in beiden Armen und Schultern – der Arzt meint, es sei noch in Folge des Sturzes. Die Schmerzen sind auch die Ursache, daß ich Ihnen nicht eigenhändig schreiben kann. Wir werden uns nun wohl gegen Ende April nach Palanca aufmachen, da ich Luft und Sonne haben soll. Im Sommer wollen wir dann einen etwas höheren Aufenthalt, aber auch südlich, suchen, wozu ich sehr auf Freund Hildebrandts Rat hoffe. Und Sie, lieber, theurer Freund, wollen nach Heiden? Ich bewundere Ihre Seelenstärke und doch kann ich auch wieder begreifen, wie es Sie dahin zieht, wo Sie mit der theuren Verstorbenen die letzten frohen Stunden verlebt haben. Daß der Tod Ihrer lieben Frau Schwiegermutter fast zur gleichen Zeit erfolgte, wie tief hat auch dies mich erschüttert. Welch ein Glück, daß Mutter und Tochter nichts wußten! Es ist wahrhaft tragisch! Doch ich muß schließen, fühle zu lebhaft, wie wenig ich von dem sagen kann, was ich für Sie empfinde. Könnten wir uns einmal sehen – mir wäre es, bei allem Schmerze, eine Wohlthat.
Leben Sie wohl.
Getreu Ihre
Clara Schumann

Von Marie und Eugenie wärmste Grüße.
An Hildebrandt’s viele herzliche Grüße. Ich schreibe ihm nächstens, bin noch in seiner Schuld.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Frankfurt am Main
  Empfänger: Herzogenberg, Heinrich Freiherr von (692)
  Empfangsort:
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 15
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit den Familien Voigt, Preußer, Herzogenberg und anderen Korrespondenten in Leipzig / Editionsleitung: Thomas Synofzik, Michael Heinemann / Herausgeber: Annegret Rosenmüller, Ekaterina Smyka / Köln: Verlag Dohr / Erschienen: 2016
ISBN: 978-3-86846-026-1
787ff.

  Standort/Quelle:*) D-Zsch, s: 6918-A2
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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