23.01.2024

Briefe



Rückwärts
	
ID: 12504
Geschrieben am: Donnerstag 10.10.1889
 

Frankf. D. 10 Octbr. 89

Lieber Herr Goldschmidt
Briefe fand ich bis zum Jahr 50 nur Beifolgenden, um dessen Rücksendung ich Sie bitte. In meinem Tagebuch fand ich aber Einiges was ich Ihnen zu beliebiger Benutzung abgeschrieben habe. Es ist sehr dillettantischer Styl, wie Sie sehen werden, Sie können dann ja ändern. Mir ist beim Abschreiben wieder alles so lebendig aus der Zeit vor die Seele getreten. Sie, die Einzige, ist gegangen, aber sie lebt fort in meinem Inneren. Mit herzlichem Gruße und allen guten Wünschen für Sie und Ihre Kinder Ihre alt ergeb
Clara Schumann.

|3| Auszüge.

Januar 1847.
Sonnabend d. 2 besuchte ich früh Jenny Lind, die mir gleich bei der Begrüßung anbot, in meinem letzten Concerte zu singen, worüber ich große Freude hatte. Sie wandte allen Dank von sich ab, indem sie mir zu vielen Malen wiederholte, daß es nur ihre Schuldigkeit und übrigens eine Ehre für sie sey bei mir zu singen. Mittwoch d. 6 besuchte uns Jenny Lind zu einer Probe. Sie war früher gekommen, als wir besprochen hatten, und als sie uns nicht fand, unterhielt sie sich mit meinen beiden Kindern, die sie Beide auf dem Schoße hatte, als wir hereintraten. Sie ist ein liebenswürdiges, gemüthvolles Wesen, |4| das ich immer lieber gewinne, je öfter ich sie sehe. Sonntag d. 10 gab ich das 4te und letzte Concert, das zum Erdrücken voll war, so daß viele Menschen keinen Platz mehr bekommen konnten. Jenny Lind sang wunderbar – solche Leistungen vergißt man nie. Montag d. 11 besuchten wir Jenny Lind, die gleich bei unserem Eintritt mir zurief „wollen sie noch ein Concert geben, ich singe noch einmal![“] Wir waren ziemlich lange bei ihr heute, und ich saß wie festgewurzelt, so lieb habe ich sie – sie ist für mich das gemüthlichste, nobelste Wesen, das ich noch je unter Künstlerinnen gefunden, und, nie werde ich sie vergessen! man muß sie kennen, und |5| genau kennen, um sie so zu lieben,
wie ich sie liebe. Wir sprachen über vieles, auch über Stockholm, wo sie mir gleich das Versprechen abnahm bei ihr zu wohnen, wenn ich hinkäme, und nur hinzugehen, wenn sie dort wäre, damit sie mich in meinen Concerten unterstützen könnte. Das war doch wohl liebenswürdig! ich hätte sie immer umarmen mögen.
März 1850. Hamburg.
Mittwoch d. 20 Nach Tisch hatte ich mich eben ein wenig hingelegt und las in einem Brief über Jenny Lind’s Auftreten in Dresden, da kam sie selbst, eben erst von Berlin angekommen. Ich war hoch erfreut, nicht weniger Robert, der jedoch den ganzen Tag so etwas wie Ahnung von Ihrem Kommen gehabt hatte. Sie war höchst liebenswürdig, und sagte, sie sey so schnell von Berlin gekommen, weil |6| sie in Hamburg in meinem Concerte singen wolle; nicht wenig erstaunt war sie zu hören, daß es vorbei, da Robert ihr geschrieben hatte wir reisten am 23ten ab, woraus sie schloß das Concert werde am 22ten statt finden. Sie erbot sich gleich in
Altona in meinem, auf morgen angesetzten Concerte zu singen, was ich natürlich mit Freuden annahm. Ich hätte sie mögen erdrücken vor Freude u. Dankbarkeit. Donnerstag d. 21 besuchte uns die Lind zu einer kleinen Liederprobe, aus der aber noch mehr wurde, denn sie sang eine ganze Menge von Roberts Liedern, und, wie sang sie sie, mit welcher Wahrheit, mit welcher Herzinnigkeit und Einfachheit, wie sange sie „Marienwürmchen“, „Frühlingsglaube“ aus dem Album, das sie nicht kannte, vom Blatt! – das bleibt Einem unvergeßlich! welch ein herrliches Gottbegabtes Wesen ist das, welch eine treue, ächt künstlerische Seele, |7| wie erfrischt Einem Alles, was sie sagt, wie trifft sie immer das Rechte, spricht es aus mit wenig Worten, kurz, nie wohl liebte und verehrte ich ein weibliches Wesen mehr, als sie. Diese Lieder werden ewig in meiner Seele klingen, und, wäre es nicht ein
Unrecht, so möchte ich sagen, nie will ich mehr die Lieder von Anderen hören, als von ihr. Daß Robert nicht weniger begeistert für sie ist, brauch ich wohl kaum zu sagen, für den Componisten ist es nun gar eine Wonne, seine Lieder sich so aus tiefster Seele herausgesungen zu hören. Sie ging, und jedesmal, wenn sie ging, blieb ich in einer gewaltigen Aufregung zurück, wo ihre Töne und Worte sich unaufhaltsam in meinem Inneren kreuzten. Die Soiree am Abend in Altona war herrlich! selten wohl vereint sich so viel als heute. voller Saal, ungeheuer<er> enthusiastisches Publikum, der herrliche Gesang, |8| mein Spiel auch nicht schlecht, Roberts
wundervolles 2tes Trio mit Boie und Kupfer, kurz, es fehlte nichts zu einem schönen Ganzen. Wie sang sie! wie das „rheinische Volkslied[“] von Mendelssohn, wie den Sonnenschein von Robert, nein, das ist nicht zu beschreiben, Robert sagte ihr „da scheint Einem wahrhaftig die Sonne auf den Buckel“ solch eine Frische, und solch eine kindliche Unschuld und Naivität – das muß man hören, und immer wieder hören, wie dann auch das Publikum nicht nachließ, daß sie es wiederholte. Und wie sang sie das „der Himmel hat eine Thräne geweint“ mit welcher seelischen und geistigen Bedeutung. Es läßt sich nicht in Worten sagen, welch himmlischen Eindruck dieser Gesang solcher Lieder macht! – Otten war bei uns redete uns sehr zu noch morgen eine Matinee in Hamburg zu geben und die Lind zu bewegen zu singen. So sehr ich dies ja wünschen mußte, so möchte ich es doch nicht für mich thuen! ich |9| sprach ihr davon, ob sie nicht Concert geben wolle, wo ich dann spielen möchte, oder, ob wir zusammen eine Matinee <geben> für die Armen geben wollten, doch alles dies wollte sie nicht, nur wenn ich für mich noch eine Matinee geben wollte, dann wollte sie singen, und, statt früh erst
Nachmittags nach Lübeck abreisen. Sie drang sehr in mich, und, wer hätte wohl solch einer Lockung wiederstehen können – ich nahm es an. Offenbar sprach sich bei ihr der Wunsch aus, uns einen pecuniären Nutzen auch zu schaffen, wie sie denn auch später ihre große Befriedigung offen aussprach, als sie hörte, daß die Matinee sehr voll sein würde. Sie wollte auch durchaus hohe Preise haben, doch das wollte mir nicht gefallen, und, sie sah es dann auch ein.
Gegen Abend kam sie, die liebe Jenny zu uns, und da machten wir
wieder Lieder-Probe, woraus aber wieder viel mehr entstand. Sie sang Nußbaum, Widmung, Frühlingsnacht, stille Liebe und noch eine Menge, auch aus Roberts Oper die Arie |10| im letzten Act, Tausend mal lieber hätte ich noch so den ganzen Abend mit ihr verbracht, als nun noch in Gesellschaft zu gehen. Jenny Lind sollte auch dorthin kommen, doch wollte sie ihren Wirtsleuten (Mad. Baunton u. Frl. Samenoff) den letzten Abend noch widmen, wie sie denn überhaupt Gesellschaften gar nicht liebt, eben so auch im Hause schwer zugängig ist, für Neugierige gar nicht. Ihre Stimme pflegt sie außerordentlich, sie tanzt nicht, sie trinkt weder Wein noch Thee, noch Kaffee – in jeder Hinsicht ein aetherisches Wesen!
– Außer ihrer großen Freundlichkeit, daß sie in zwei meiner Concerte hier sang, deswegen da blieb ect. war sie auch noch in anderen Dingen äußerst aufmerksam gegen mich; sie ließ mich z. B. nie zu einer Probe zu sich kommen, ferner holte sie uns jedesmal zum Concert ab, u. so Vieles noch! – welche andere Ansprüche machen dagegen kleine Sängerinnen! – |11| Sonnabend d. 23 Matinée. Ungeheuer voll, großer Jubel. Jenny Lind hatte sich hinter den Deckel des Claviers gesetzt, wobei eine allgemeine Bewegung entstand, denn Wenige nur konnten sie sehen, und doch hätte sie Jeder gern gesehen. Sie sang wieder wundervoll, Mozarts Arie
aus Figaro mit einer hinreißenden Einfachheit (da hätte Frl. W. lernen können, Respect vor den Componisten,) desgl Lieder von Robert, wieder den „Sonnenschein“ zum Schluß zwei mal. Ein Beweis, wie sie Alles, was sie singt, in sich aufgenommen gab sie heute wieder, indem sie, als bei’m Umblättern der Frühlingsnacht die Blätter verlegt waren, dieselbe auswendig zu Ende sang. Die Lieder von Robert sang sie Alle so, wie ich sie mir immer in meinem Ideale gedacht, aber zu hören nie geglaubt hatte. Keine Feinheit, an der Andere |12| spurlos vorbei gehen, bleibt ihr verborgen, so auch, wenn sie andere Musik hört, ist es ein wahres Vergnügen
ihr zuzusehen, wie auch Nichts, nicht die zarteste feinste <Wendung> harmonische Wendung ihr entgeht. – Nach der Matinee wollte uns die Lind durchaus nicht erlauben, sie nach Haus zu bringen, sondern nahm bei uns Abschied, der mir sehr weh that. Robert hat an ihr eine wahre Verehrerin! sie sagte mir einmal leise „welch ein Glück ist das, Ihr Mann, wie hoch verehre ich ihn!“ wie freute sie sich immer wenn sie sah, sie hatte ihm seine Lieder zu seiner Befriedigung gesungen! Doch nun genug, die Worte sind ja doch nur schwache
Wiedergabe der Empfindungen.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Frankfurt am Main
  Empfänger: Goldschmidt, Otto (546)
  Empfangsort:
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 7
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Jenny Lind-Goldschmidt, Wilhelmine Schröder-Devrient, Julius Stockhausen, Pauline Viardot-Garcia und anderen Sängern und Sängerinnen / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Jelena Josic, Thomas Synofzik, Anselm Eber und Carlos Lozano Fernandez / Dohr / Erschienen: 2023
ISBN: 978-3-86846-018-6
251- 257

  Standort/Quelle:*) S-Skma, s: Brev. Lind-Goldschmidt
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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