23.01.2024

Briefe



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ID: 12597
Geschrieben am: Montag 05.07.1886
 

Franzensbad d. 5 Juli 1886.

Liebster Joachim,

was haben Sie wohl gedacht, daß die alte Freundin diesmal am 28ten Juni fehlte! hoffentlich hielten Sie mich nicht für nachlässig, denn das war ich wirklich nicht. Fürerst nun aber meine treuesten, wärmsten Wünsche nachträglich, und die Bitte, daß Sie mir immer gut bleiben. Von Nathalie hörte ich, wie reizend Sie Ihren Geburtstag gefeiert! freilich wohl mag Ihr Herz auch von Wehmuth, an solch ’nem Tage besonders, erfüllt sein, aber, Manches, Erfreuliches, vergönnt Ihnen der Himmel doch in Ihren Kindern, den Söhnen jetzt ganz besonders, Nathalie hat mir viel davon erzählt, und innige Freude empfand ich dabei. Möge Ihnen das Gute bleiben für alle Zukunft, und Gesundheit vor allem, denn mehr u. mehr lernt man sie schätzen, je älter und zerbrechlicher man wird. Ich muß Ihnen nun aber doch sagen was mir am 27ten Juni, wo ich Ihnen habe schreiben wollen, passirte. Es war seit längerer Zeit bei uns Manches fortgekommen, mir ein Portemonais [sic] mit 220 Mark, Eugenien Brochen ect. und da <> beredete uns mein Schwiegersohn die Polizei zu holen, u. die Mädchen untersuchen zu lassen (wir hatten zwei Neue erst seit 2 Monaten) – ich wollte es durchaus nicht, wurde aber überstimmt. Es fand sich natürlich nichts, und die Aufregung von uns Allen war fürchterlich. Wir schickten ein Mädchen (die, die sich frech bei der ganzen Sache benahm, u. die wir auch am meisten in Verdacht hatten) fort, andren Morgens reisten wir nach Leipzig ab, und hatten vollständig den Kopf verloren, ich wenigstens. In Leipzig kamen wir nun gleich wieder in großen Trouble – kurz, ich habe den lieben alten Freund an seinem wichtigsten Tage vergessen, obwohl ich in [sic] treu im Herzen trage. Mit Rudorff sprach ich viel von Ihnen, und noch immer fiel mir Ihr Geburtstag nicht ein, bis Nathalie davon erzählte. Ich sehe daraus, wie Altersschwach ich werde, und wie ich weniger u. weniger Allem entsprechen kann, das mir im Kopf und Herzen liegt. Nicht wahr, Sie nehmen meine Wünsche nicht weniger freundlich jetzt auf? – Rudorff hat Ihnen gewiß von Leipzig erzählt – es war ein durchaus gelungenes Fest, manche Gedanken durchzogen Einem freilich die Seele, die in Zwiespalt mit solcher Feier geriethen. Livia sah merkwürdig jung und stattlich mit ihrem schönen gold’nen Kranze im Haar, Er dagegen recht gebückt, ein altes Männchen geworden. Nathalie giebt uns viel zu denken, welch ein unglückliches Wesen ist sie, und es ist ja gar nicht zu helfen – man kann in diesem Alter wohl kaum mehr einen Menschen umwandeln, schweres Geschick vermag dies wohl einzig und allein, und das hat sie allerdings, und leider so viel selbst verschuldet. Ich sinne immer, wie sie zu beeinflussen, aber, bisher war es immer unmöglich. Sie ist keine angenehme Umgebung hier für mich, denn sie stimmt mich traurig; so anregend sie auch sein kann, so ist ihr Alleinstehen und ihre Zerfahrenheit doch entsetzlich, und bei einem Bade-Gebrauch muß man eigentlich alle erregenden Empfindungen in den Hintergrund treten lassen, umsomehr, wenn sie Einem so packen, wie mich leicht. Rudorff zu sehen hat mir rechte Freude gemacht – wir verstehen uns künstlerisch u. menschlich so gut. Marie sendet Ihnen ebenfalls ihre herzlichen Wünsche. Und nun genug – ich hoffe zuversichtlich daß Sie uns einen Tag in Obersalzberg schenken – auf Mehr wage ich nicht zu hoffen. Wir denken Anfang August wieder dort zu sein.
In alter herzlicher Freundschaft
Ihre
Clara Schumann.

An die lieben Levy’s schönste Grüße, auch an Fr. v. Beulwitz, wenn Sie ihr schreiben.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Franzensbad
  Empfänger: Joachim, Joseph (773)
  Empfangsort:
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 2
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Joseph Joachim und seiner Familie / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Klaus Martin Kopitz / Dohr / Erschienen: 2019
ISBN: 978-3-86846-013-1
1298ff

  Standort/Quelle:*) D-Zsch, s: 6622-A2
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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