Frankfurt d. 2 Dec. 1890.
Lieber Herr Scholz,
Alice Dessauer1 will doch den Modulations-Cursus noch einmal mit durchmachen – schaden kann ihr dies ja nicht. Sie haben wohl recht, daß Mancher das Geschick von Natur hat, aber ich habe ein eclatantes <>Beispiel, wie man das Modulieren doch lernen kann, freilich mit eisernem Fleiße, an der Janotha. Diese konnte nicht einen Accord finden, als sie zuerst nach Berlin kam, hat aber 10–12 Jahre studiert, und präludirt jetzt zuweilen sogar sehr hübsch. Aus Ihrem Schreiben ersah ich zu meinem Leidwesen, wie vorsichtig ich sein müßte mit Aeußerungen gegen Sie. Sie haben nun gleich im Unwillen über meine neuliche Aeußerung meine beiden Schülerinnen, wie es sich herausgestellt, ungerecht beschuldigt. Ich schrieb, um die Sache genau zu wissen, an Miss White, warum die Mädchen (Barnett und Minnie) die Stunden bei Hrn. Egidi lässig besuchten, worauf sie mir erwiederte, dies sey nicht der Fall; ihres Wissens habe die Barnett seit Septbr. eine Stunde versäumt, wo sie einen hohen Feiertag hatte, und Minnie zwei, weil sie unwohl war, im Bett liegen mußte, und da hätte sie sich von der Barnett die Aufgaben bringen lassen. Die Barnett selbst kennen wir nur als die fleißigste, gewissenhafteste Schülerin. Minnie hat sich auch sehr gebessert in den letzten Monaten, seit wir ernst mit ihr gesprochen hatten auf Herrn Eigidi’s [sic] Klagen. Daß ihr die Theorie schwer wird ist wahr und merkwürdig bei ihrer natürlichen sonstigen Begabung, aber diese gerade veranlaßt vielleicht Hrn. Eigidi zuweilen mehr von ihr zu erwarten, als sie leisten kann. Ach, nun habe ich wieder einen Fehler gemacht, aber, ich würde mich nicht scheuen dieses Herrn Eigidi selbst zu sagen, denn ich weiß aus Erfahrung, wie leicht man durch Begabung eines Schülers verleitet wird zu viel von ihm zu verlangen. Eigidi ist doch noch ein junger Mann, und hat noch nicht so viel Erfahrung. Nun zu Dr Köstlins Angelegenheit. Da wollte ich Ihnen sagen, daß ich gern mit Bach, Händel, Rameau Couperin, Scarlatti bereit stehe, aber vom 2ten Abend mit Hasse, Keiser u. Kuhnau lassen Sie mich bitte frei, wenn Herr Dr Köstlin nicht andere Belege hat, als die gesandten. Ich kann mich für so langweilige Sachen nicht interressiren – so eine Sonate von Hasse ist ja gar nicht auszuhalten! – Ueberhaupt, wozu das Forschen nach <alte> längst vergessenen Sachen, die sich ja selbst das Urtheil gesprochen, indem sie fast verschwunden sind? so auch die Compositionen der Söhne Bachs, die ja doch neben dem Vater nicht bestehen konnten! – Ich muß mich offen darüber aussprechen, kann mir nicht selber <>ein Interresse einreden wollen, das ich nicht empfinde. – Eine Suite von Mattheson war aber wohl nicht bei den mir gelassenen Noten? und Keiser auch nicht, auch Kuhnau nicht. Ich lege hier das Programm wieder bei – ich habe es mir abgeschrieben. Die arme Ilona hat mir recht leid gethan, ich hoffe aber, sie kämpft sich durch, durch die Intriguen. Entschuldigen Sie mein flüchtiges Geschreibe, und lassen Sie mich noch hören wegen der fehlenden Sachen.
Mit bestem Gruße wie immer
Ihre
aufrichtig ergebene
Clara Schumann.