Frankfurt a/M d. 27 Juni 93
Lieber, theuerer Joachim,
diesmal komme ich rechtzeitig mit meinen innigsten Glückwünschen, möchte, ich könnte Ihnen selbst die Hand drücken. Ich habe so lange nichts von Ihnen gehört – Sie waren so nahe und ich konnte Sie doch nicht sehen – fast komme ich mir wie eine Fremde Ihnen gegenüber vor – wie traurig ist solch ein Gefühl! – Wie mag es Ihnen gehen, wie Ihren Kindern? ich hörte Josephchen sey leidend, ist dem so? u. die liebe Sängerin Marie, wo ist sie? wo sind die Söhne? Sie sehen, ich weiß nichts, und stand Ihnen doch sonst so nahe! es ist grausam, daß man im Alter noch so resigniren lernen muß! das soll aber kein Vorwurf für Sie sein! Sie sind eben noch in voller Thätigkeit, und müssen andren Ansprüchen gerecht werden. Die nächsten Sommer-Monate werden doch einigermaßen Ihnen Ruhe bringen, dann, bitte, machen Sie mir ’mal die Freude eines Briefes mit allen Details über sich u. d. Kinder. Wir gehen Ende der Woche nach Schlangenbad, dann im August wieder nach Interlaken. Wo werden wohl Sie Ihre Schritte hinlenken? Unter den Bewerbern dies Jahr f. d. Mendelssohn Stipendium werden Sie den Namen Miss Macdonald Schülerin von mir finden. Sie ist sehr beschützt von Lady Macfarren, die mit Einigen ihre musikal Erziehung bisher bezahlte. Ich möchte aber gern, daß sie noch ein Jahr bei mir studirte, u. rieth ihr deshalb sich zu bewerben, denn die Unterstützung der Freunde hört jetzt auf. Daß Urspruch nun doch den Professor-Titel erhalten wird, freut mich sehr, als Musiker ist er doch sehr tüchtig, wenn auch seine Compositionen nicht erquicklich sind. Brahms hat mir neuerdings einige kleine Klavierstücke gesandt, die höchst interressant, wahre Bijou’s sind. Sie wissen, er ist in Ischl. Jetzt aber zum Schluß. Marie sendet ihre wärmsten Wünsche! In alter treuer Freundschaft
Ihre
Clara Schumann
Grüße Ihren Kindern u. Frau v. Beulwitz.
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