Interlaken d. 17 July 92
Pension Ober.
Lieber Herr Professor,
daß ich erst heute Ihren lieben Brief beantworte, konnte nur wichtige Ursachen haben, denn derselbe hat mich wahrhaft erquickt, und ich empfand beim Lesen einmal wieder recht das Glück treue Freunde zu haben.
Ach, leider, habe ich ja wieder schwere Prüfungen |2| durchgemacht. Eugenie war sehr krank, der Arzt schickte sie, sobald es anging nach Locarno, ich reiste ihr drei Wochen später nach, (leider ohne Marie, die noch an die Schule gebunden war, und zwar doppelt, als sie Eugeniens Schüler mit übernahm) sollte mich erholen, machte aber schreckliche Zeit dort durch, da Eugenie Rückfälle (alles Folgen von Blutarmuth) bekam, die mich wahrhaft entsetzten. Wir hatten einen guten |3| Arzt, der sehr energisch eingriff, und es ging ihr bald besser, aber, da ich ohne Marie war, und Eug. immer zu Bette lag, für meine Pflege, derer ich doch noch bedurfte, gar nichts thuen konnte, so regte sie das so auf, machte sie so unglücklich, daß ich mich auf Anrathen des Arztes, entschließen mußte, sie zu verlassen. Sie war durch ihre Freundin, Miss Hope, so gepflegt, wie es nur möglich war, trotzdem blutete mir das Herz, als ich fort mußte. Ich ging zu Vonder Mühlls nach Basel, erwartete |4| dort Marie, u. nun sind wir seit 5 Wochen hier, und genießen das herrliche Interlaken, welches wunderbar reich an den lieblichsten Ausflügen in nächster Nähe ist. Wir werden wohl noch bis Mitte Aug. hier bleiben, dann aber wieder über den Gotthardt an irgend einen See gehen. Der Arzt hier will nicht, daß ich sehr hoch gehe. Sie können denken, daß ich mich bei solchen Aufregungen nicht erholen konnte, und erst jetzt, nachdem es Eugenien, die in Bignasco mit der Fillunger zusammen ist, viel besser |5| geht, fange ich an mich kräftiger zu fühlen.
Mit Schrecken sehe ich, daß ich Ihnen einen ganzen Bogen nur von uns geschrieben habe, aber, bei so theilnehmenden Freunden ist es gar zu schwer zu verschweigen, wovon das Herz erfüllt ist.
Mit herzlichstem Interresse habe ich Ihre Mittheilungen über die lieben Ihrigen, und Ihre Aussprüche über Brahms neue Werke, sowie den herrlichen Faust, gelesen. Könnte ich doch ’mal |6| Ihren Musikabenden beiwohnen, überhaupt, Sie einmal in Ihrem schönen Hause sehen! – Und, wie muß es Sie freuen, daß Ihre Kinder schon anfangen Freude an dem Wahren, Schönen in der Kunst zu haben! –
Den armen Herzogenb. traf ich in Basel, und fand ihn, ich möchte fast sagen, unheimlich gefaßt! ich denke immer ein Rückschlag muß dann doch kommen! Er hat jetzt immer Freunde um sich, wie Sie wohl wissen, aber, später wieder in Berlin – allein! wie |7| wird er es dann tragen? –
Wäre es wohl eine Möglichkeit, daß wir uns in diesem Sommer irgendwo träfen? Sie kennen meine Absichten, sollte der Zufall ein Begegnen herbeiführen können, so, bitte, <s> lassen Sie es mich hierher, nur per Correspondenzcarte wissen. Ach, aber ich fürchte, das fügt sich nicht, ich habe kein Glück mit meinen liebsten Freunden! immer führen uns die Wege auseinander. –
Von Ihrer Gesundheit schrieben Sie nichts – ich darf das wohl als ein |8| gutes Zeichen nehmen.
Herzlich freut mich Emma’s gute Gesundheit, und treue Pflege der Kunst; ihre Nervosität kommt nur von der Ungewohnheit des Oeffentlichspielens, das ist aber doch schwer zu ändern, wenn man Frau und Mutter ist, und nicht reist. Wärmste Grüße an sie, auch von Marie an Sie Beide, und Herzlichstes Ihnen, lieber Herr Professor, von
Ihrer
getreuen
Clara Schumann.
[Umschlag]
Herrn Professor
Dr W. Engelmann.
Utrecht.
(Holland.)